Es gibt wenig Toleranz in der Demokratie

In den offenen Gesellschaften des Westens glauben viele Menschen mit einer gewissen Selbstgefälligkeit an die Toleranz für widerstreitende Standpunkte. Doch die Bandbreite dieser Standpunkte war in der jüngeren Geschichte stark eingeschränkt. Anne Applebaum weiß: „Seit 1945 fanden die Diskussionen vor allem zwischen Positionen rechts und links der Mitte statt. Entsprechend schmal war das Spektrum an möglichen Wahlergebnissen. Vor allem in Gesellschaften wie den skandinavischen, die stets auf Konsens bedacht waren.“ Aber selbst in den hemdsärmeligeren Demokratien war das Spielfeld relativ klar vorgegeben. In den Vereinigten Staaten ließ der Kalte Krieg in der Außenpolitik Einigkeit der beiden Lager entstehen. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

Die Reformation führte zu Religionskriegen

In vielen europäischen Ländern war das Bekenntnis zu Europa selbstverständlich. Die Meinungen mochten sich unterscheiden, doch die meisten Menschen diskutierten innerhalb eines klar vorgegebenen Rahmens. Diese Welt ist Vergangenheit. Heute erlebt die Menschheit einen rasanten Wandel bei der Weitergabe und Aufnahme politischer Informationen. Dabei handelt es sich um genau die Art von Kommunikationsrevolution, die in der Vergangenheit politische Umwälzungen bewirkte. Die Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert bereitete zum Beispiel den Boden für eine ganze Reihe positiver Veränderungen.

Nämlich die Alphabetisierung weiter Teile der Bevölkerung, die Verfügbarkeit verlässlicher Informationen und das Ende der Informationspolitik der katholischen Kirche. Anne Applebaum stellt fest: „Das alles bewirkte jedoch eine neue Polarisierung und radikale politische Veränderungen.“ Dank der neuen Technologie konnten die Gläubigen die Bibel selbst lesen, und das wiederum beförderte die protestantische Reformation. Diese ging mit jahrzehntelangen blutigen Religionskriegen einher. Märtyrer wurden verbrannt und Kirchen und Dörfer in einem Wahn von Wut und Selbstgerechtigkeit dem Erdboden gleichgemacht.

Die Printmedien verlieren Werbeetats

Der Schrecken endete erst mit der Aufklärung und der Durchsetzung der Religionsfreiheit. Mit dem Ende der religiösen Konflikte begannen jedoch neue Auseinandersetzungen zwischen säkularen Ideologen und nationalen Gruppen. Einige verschärften sich nach einer weiteren Kommunikationsrevolution, der Erfindung des Radios und dem Ende des Monopols des gedruckten Wortes. Adolf Hitler und Josef Stalin verstanden mit als Erste, welche Macht ihnen dieses neue Medium verlieh.

Demokratische Regierungen hatten anfangs ihre Schwierigkeiten, den Demagogen etwas entgegenzusetzen, die jetzt die Menschen in ihren eigenen vier Wänden erreichen konnten. Anne Applebaum erklärt: „Die aktuelle Informationsrevolution verlief schneller als alles, was wir aus dem 15. oder auch dem 20. Jahrhundert kennen.“ Denn heute hat die rasche Verlagerung von Werbeetats ins Internet innerhalb von nur einem Jahrzehnt die Möglichkeiten von Sendeanstalten und Printmedien zu Recherche und Verbreitung von Informationen stark eingeschränkt. Quelle: „Die Verlockung des Autoritären“ von Anne Applebaum

Von Hans Klumbies