Platon sucht nach dem Maß des guten Lebens

Wenn der griechische Philosoph Platon (427 – 347 v. Chr.) nach dem guten Leben fragt, dann sucht der nach dem Maß des guten Lebens. Dieses Maß nennt Platon in den „Nomoi“ Gott – und verrät im gleichen Dialog, wer diese Gottheit ist, die aller phýsis, allem Sein und Leben unbedingt maßgeblich ist: die psyché bzw. die Lebendigkeit, die alles trägt und hält, durchwaltet und belebt.“ Christoph Quarch weiß: „Die psyché ist Grund und Wesen des Erscheinens und des Werdens – und es liegt in ihrer Logik, dass sie Harmonie und Stimmigkeit gebiert, wo immer sie sich in der wahrnehmbaren Welt bekundet.“ In ihr gründet auch die Ordnung eines jeden lógos, der stets dann ein wahrer lógos ist, wenn er der Logik der Lebendigkeit angemessen ist und der Dynamik ebenso wie dem Sowohl-als-auch des Lebens Rechnung trägt. Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.

Das Leben gedeiht nicht von selbst zu voller Harmonie

Alles Werden und Erscheinen zielt auf Harmonie und Einklang. Immer aber ist es ungewiss, ob Harmonie und Einklang wirklich werden: Denn das Werden und Erscheinen – sei es im lógos, sei es in der phýsis – schöpft aus einem Meer von Möglichkeiten, dem geschuldet ist, dass etwas besser oder schlechter, angemessen oder maßlos, wahrhaft oder trügerisch zum Vorschein kommt. Zwar zielt psyché auf Bestheit (areté) und Harmonie, doch bleibt bei jedem Seienden und Wesen, das sich zeigt, letztendlich ungewiss, ob es in guter, wahrer Stimmigkeit erscheint oder als unstimmig und schlecht.

Christoph Quarch erläutert: „Weil das so ist, braucht es die Fertigkeit und Kunst des Menschen – weil das Leben nicht per se, von selbst zu voller Harmonie gedeiht, braucht es ein Maß, an dem wir unser Tun und Lassen orientieren: das Maß der Gottheit, die nichts anderes ist als das vollkommene und gute Leben.“ Das gilt für jedes Lebewesen. Allen ist es möglich, die psyché – Lebendigkeit –, die ihnen als ihr Sein und Wesen innewohnt, zu lenken und am Maß der Gottheit auszurichten.

Die Lebendigkeit eines Menschen soll sich in Harmonie und Stimmigkeit entfalten

Dieses Streben nach der Ähnlichkeit mit einem Gott ist das Programm von Platons Lebenskunst und Ethik. Sie ist darin sehr anders als das, was die neuzeitliche Philosophie als Ethik und Moral beschreibt: Platons Ethik appelliert nicht an den Willen des Subjekts. Nicht fragt sie, ob und wie der Wille zwischen Gut und Böse unterscheidet, ob und wie es einem Sittengesetz oder religiösen Gebot Gehorsam leistet. Sie fragt auch nicht danach, welches Verhalten rational und nützlich ist.

Platons Ethik geht es nur um eines: dass ein Seiendes in einem konkreten Dasein seinem eigenen Sein und Wesen angemessen ist – mit seinem Sein und Wesen übereinstimmt. In der Politik fragt sie, wie ein konkretes Gemeinwesen so zu komponieren ist, dass in ihm die Harmonie des Lebens in der Gestalt der Bestheit Gerechtigkeit verwirklicht ist. In dem Leben eines jeden Einzelwesens geht es um dasselbe: das eigene Leben so zu führen, dass sich die Lebendigkeit in Harmonie und Stimmigkeit entfalten kann; dass es seinem eigenen Wesen angemessen ist und seinem eigenen Sein entspricht. Quelle: „Platon und die Folgen“ von Christoph Quarch

Von Hans Klumbies