Gewohnheiten verfügen auch über eine Tiefendimension

In dem Wort „Gewohnheit“ steckt der Begriff „Wohnen“. Martin Heidegger hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Menschen Wohnungen bauen, um einen Teil der Welt angesichts der Sterblichkeit zu bewahren. Die Menschen richten sich im Haus des Lebens ein, Gewohnheiten sind dabei wie vertraute Möbelstücke oder auch wie Räume im Haus des Lebens. Deshalb erschließen neue Gewohnheiten auch neue Räume. Clemens Sedmak ergänzt: „Ein neues Möbelstück verändert den Charakter eines Raumes oder einer ganzen Wohnung; Gewohnheiten sind wie eine zweite Haut, die wir uns zu eigen machen, also wie Kleidung.“ Die Menschen hüllen sich dabei in Gewohnheiten ein, bedecken ihre Blößen der Unsicherheit mit schützenden Gewohnheiten. Der österreichische Philosoph Clemens Sedmak hat unter anderem eine Professur am Londoner King´s College inne.

Viele Gewohnheiten werden oft zur zweiten Haut

Clemens Sedmak weist darauf hin, dass eine Gewohnheit abzulegen meist schwerer als das Ablegen eines Mantels ist, eben weil die Gewohnheit zur zweiten Haut geworden ist. Eine Gewohnheit ablegen hat auch etwas mit Loslassen zu tun. Eine Gewohnheit hat man sich angeeignet, zu eigen gemacht, sie ist Teil des Eigenen geworden, Teil des Selbst. Clemens Sedmak fügt hinzu: „Und dies geht mitunter so weit, dass die Gewohnheit dich selbst in Besitz nehmen kann, du findest dich in Abhängigkeit und Sucht wieder.

Gewohnheiten haben eine Kraft, die auch zwingend wirken kann – hier werden mitunter Kräfte frei, die das Leben prägen können. Eine Gewohnheit ist nicht bloß eine gewisse Handlung oder Handlungseinstellung, sondern hat auch eine Tiefendimension. Clemens Sedmak erläutert: „Gewohnheiten erzählen über unsere Vergangenheit, sind Speicher von Erfahrungen, erzählen etwas über uns selbst, auch – beim Ringen um eine neue Gewohnheit – über unsere Hoffnungen und Sehnsüchte.

Weniger ist mehr

Wenn jemand sein Leben ernsthaft ändern möchte, muss er an einem ganz bestimmten Punkt beginnen, einer Regel folgend, den gewählten Aspekt einüben. Dazu bedarf es laut Clemens Sedmak neben einem festen Entschluss auch einer entsprechenden Infrastruktur. Dabei ist es ratsam, ein Wachstumsgesetz anzuwenden, das da lautet: „Weniger ist mehr.“ Es ist klug, bei der Erforschung des Gewissens immer nur einen bestimmen Fehler ins Auge zu fassen und besonders darauf zu achten, als in vielen verschiedenen Fehlhaltungen und möglichen Irrungen unterzugehen.

Papst Johannes XXIII. hat einmal gesagt: „Je mehr Vorsätze man fasst, umso weniger hält man sie.“ Ein weiter Ratschlag von ihm lautet: „Lest wenig, aber gut. Was für die Lektüre gilt, wende ich auf alles an: wenig, aber gut.“ Diese Einsicht kann man wohl auch auf den Umgang mit Gewohnheiten und Lebensveränderungen anwenden – lieber das wenige regelmäßig tun, als das viele nur episodisch. Bei dem wenigen kann auch der Entschluss stärker, der Blick wacher sein. Das Einüben einer neuer Gewohnheit fängt immer selbstredend mit dem ersten Schritt an. Quelle: „Jeder Tag hat viele Leben“ von Clemens Sedmak

Von Hans Klumbies