Hans-Werner Sinn benennt das wahre Schuldenproblem

Alle Länder der Eurozone wurden laut Hans-Werner Sinn im Verlauf der Krise wegen der Rettungsaktionen und auch wegen der wegbrechenden Steuereinnahmen in die Staatsverschuldung getrieben. Die Thesen indessen, dass sie in die Krise gerieten, weil sie sich zuvor zu stark verschuldet hatten, hält Hans-Werner Sinn für nicht generell richtig. Als Beispiele nennt der renommierte Ökonom die Länder Irland und Spanien, die das Defizitkriterium des Stabilitäts- und Wachstumspaktes von der virtuellen Einführung des Euro im Jahr 1999 bis zum Ausbruch der Krise im Jahr 2007 nie verletzt und in den letzten Jahren vor Kriseneruption sogar Budgetüberschüsse erzielt hatten. Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 1999 wurde er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art.

Die niedrigen Zinsen waren für die Auslandsverschuldung der Krisenländer verantwortlich

Erst mit und wegen der Krise entwickelten sich auch in Irland und in Spanien große Defizite. Hans-Werner Sinn weist darauf hin, dass diese beiden Länder allerdings sehr stark im Ausland verschuldet sind. So lagen die Auslandsschulden Irlands und Spaniens Ende 2011 bei 98 Prozent  beziehungsweise 92 Prozent des Bruttosozialprodukts (BIP) und übertrafen damit sogar Griechenland mit einer Auslandsschuldenquote von 79 Prozent. Nur Portugal wies mit 103 Prozent des BIP einen noch höheren Wert bei der Auslandsverschuldung auf.

Laut Hans-Werner Sinn haben mit Ausnahme Italiens alle sechs Krisenländer schon vor der Krise auf die durch den Euro gesunkenen Zinsen mit einer Zunahme ihrer Außenschulden relativ zur Wirtschaftsleistung reagiert. Seiner Meinung nach gibt es keine Anhaltspunkte für die Vermutung, dass diese Länder 1995 in einer Nettogläubigerposition waren und deshalb durch die Zinssenkungen belastet worden wären. Hans-Werner Sinn ergänzt: „Alles spricht dafür, dass es die Anreizwirkung der niedrigen Zinsen war, die die Auslandsverschuldung dieser Länder erzeugt hat.“

Deutschland hatte schon 2011 wegen der Krise 307 Milliarden Euro verloren

In allen Krisenländern, auch in Italien stiegen während der Krise die Auslandsschulden auch aufgrund wegbrechender Steuereinnahmen. Überall wuchsen die Außenschulden ab dem Jahr 2008 noch kräftig an. Bemerkenswert ist es für Hans-Werner Sinn, dass die Nettoauslandsschuld auch noch durch zinsbedingte Umwertungseffekte verändert wurde. Der Chef des ifo Instituts erklärt: „Dabei handelt es sich um die Verringerung des Marktwertes von ausstehenden Schuldtiteln mit längerer Laufzeit.“

Der Wert fällt laut Hans-Werner Sinn so weit, bis die Rendite für jemanden, der die alten Schuldtitel kauft, der effektiven Rendite der neu ausgegebenen Titel ähnelt. Für den Eigentümer der alten Vermögenstitel bedeutet das einen Verlust von Vermögen, und dieser wird in der Statistik über die Nettoauslandsposition erfasst. Hans-Werner Sinn nennt ein Beispiel: „Ohne diesen Vermögensverlust, also bei einer Verbuchung der Vermögenstitel zum Nennwert, hätte Deutschland 2011 ein Nettoauslandsvermögen von 48 Prozent seines BIP gehabt. Tatsächlich waren es aber nur 36 Prozent. Zwölf Prozentpunkte oder 307 Milliarden Euro waren also in der Krise schon durch Marktwertverluste verloren gegangen.

Von Hans Klumbies