Elitäre Individualisten gehen auf Distanz

Die einzige Form von Macht, die ein wahrhaft elitäres Wesen unbedingt anstrebt, ist die Macht über sich selbst. Das Streben nach Macht über andere ist dieser Ausrichtung genau entgegengesetzt. Wolfram Eilenberger stellt fest: „Das Kernbedürfnis des elitären Menschen ist also keineswegs, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen.“ Das eigentlich zu lösende soziale Problem kommt für elitäre Individualisten vielmehr von der anderen Seite. Es besteht ganz wesentlich und hauptsächlich darin, sich den weithin ungerichteten Willensbestimmungen, die andere auf einen selbst ausüben, zu entziehen. Die Sphäre der Anderen, aller anderen, ist also keine der potenziellen Eroberung. Sondern sie ist eine der möglichst weitgehenden Distanzierung und Befreiung! Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

Viele Menschen fristen ein Leben in stiller Verzweiflung

Elitäre Menschen, die diesen Namen verdienen, machen sich nicht und niemals gemein. Gemeinheit ist und wäre das Allerletzte, was sie wollen und antreibt. Der Slogan der so bestimmten Elite lautet somit nicht: Folgt mir! Gehorcht mir! Bewundert mich! Sondern gerade im Gegenteil: Das ist mein Leben. Bleibt mir nach Möglichkeit aus dem Weg! Lasst mich sein! Jeder moderne Mensch sollte den Ruf eines solchen elitären Daseins eigentlich als erstrebenswert vernehmen.

Dabei stellt sich für Wolfram Eilenberger natürlich die Frage, weshalb eine überwältigende Mehrheit real existierender erwachsener Menschen ein Leben in stiller Verzweiflung fristet. Dieses ist im Alltag von einer sich wechselseitig bestärkenden Mischung aus „Lügen“ und „Leiden“ bestimmt. Und es nimmt allzu gängig die Form eines schleichenden Suizids im Namen des Zynismus an. Ein angewachsener Zynismus übrigens, der in seinen unterdrückten, verdrängten oder gar begrabenen Sehnsüchten in der Regel ganz genau anzuklagen weiß, wer nun der Hauptschuldige an der je eigenen Misere ist.

Schuld an der eigenen Misere sind immer die anderen

Man ahnt es schon. Das wären dann die sogenannten „Eliten“, die „Mächtigen“, die „da oben“ … gerne auch „die alten weißen Männer“. Oder es wären die „Neoliberalisten“, „die Lügenpresse“ sowie der hegemonial gewordene „grün-rote Meinungssiff“. Irgendjemand nicht wahr, muss ja schuld an der je eigenen Misere sein. Gängigerweise sind es die anderen. Nur wenige Tage nach dem Beginn ihrer philosophischen Aufzeichnungen, am 15. Mai 1934 bringt Ayn Rand folgende Überlegung zu Papier:

„Eines Tages werde ich herausfinden, ob ich ein ungewöhnliches Exemplar der Spezies Mensch bin, da meine Instinkte und mein Verstand so untrennbar eins sind. Wobei der Verstand die Instinkte beherrscht.“ Auf die Frage, ob sie ungewöhnlich intelligent oder einfach nur ungewöhnlich ehrlich ist, antwortet Ayn Rand: „Ich denke, letzteres. Es sei denn, Ehrlichkeit wäre ebenfalls eine Form der Intelligenz.“ Konsequent elitär ließe sich daran folgende Frage anschließen: Warum sind alle anderen sich selbst der größte Feind? Was läuft da jeweils schief? Quelle: „Die offenbare Elite und ihre Feinde“ von Wolfram Eilenberger in Philosophicum Lech, Band 23, „Die Werte der Wenigen“

Von Hans Klumbies