Nur der Mensch besitzt einen Geist

Johann Gottlieb Fichte schreibt: „Der Mensch ist nur insofern und in dem Grade Mensch, als er Geist hat.“ In der Geschichte des philosophischen Denkens findet man nur wenige Begriffe, die in ihrer Bedeutung umfassender und zugleich vielfältiger sind als der des „Geistes“. In der europäischen Tradition kommt er als pneuma, nous, logos, spiritus, mens, intellectus, ratio, esprit und mind vor. Um nur die wichtigsten zu nennen. Volker Gerhardt erklärt: „Sie weisen in sich vielfältige Schattierungen auf. Und ihre Anwendung findet sich so gut wie in allen Disziplinen des Denkens. Vornehmlich in Metaphysik, Naturphilosophie, Theologie, Pädagogik und Politische Philosophie.“ Wie undogmatisch man diesen Begriff verwenden kann, belegt Montesquieus Abhandlung über den „Geist der Gesetze“. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Wilhelm von Humboldt diente vielen als Vorbild

Es gibt einen feinen Unterschied zwischen „geistreich“ und „geistvoll“, dann die Verbindung von Geist und Bildung. Und es existiert sogar die vollkommen geistlose Fahrt mit der „Geisterbahn“. Immanuel Kant verknüpft den Begriff sowohl mit dem Genius wie auch mit dem des Lebens. Hegel macht ihn dann zum Fundamentalbegriff nicht nur des Denkens. Er macht ihn zum Zentrum des ganzen sich geschichtlich entfaltenden Daseins. Hegels Verabsolutierung des Geistes hat dann einen gewissen Überdruss begünstigt. Dieser hat zur zeitweiligen Tabuisierung des Begriffs geführt.

Volker Gerhardt stellt fest: „Es ist nicht das geringste Verdienst der sprachanalytischen Philosophie, damit ein Ende gemacht zu haben.“ John Stuart Mill bekennt mit Blick auf die frühen philosophischen Schriften Wilhelm von Humboldts folgendes. Er schreibt: „Nach Sokrates hat es in der Geschichte der Philosophie nichts Vergleichbares gegeben.“ Mills Urteil bezieht sich im Wesentlichen auf die 1792 abgeschlossene Betrachtung über die „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“.

Wilhelm von Humboldt hat dem Geist der Menschheit nachgespürt

Volker Gerhardt bedauert, dass Humboldts kleiner Text „Über den Geist der Menschheit“, der sich wie der Entwurf zu einem großen Werk liest, Fragment geblieben ist. Ausgearbeitet hätte er das vorweggenommene Gegenstück zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“ (1807) werden können. Doch Wilhelm von Humboldt hat die Ausführung auf andere Weise weiterverfolgt. Da hat er dann dem Geist der Menschheit als Sprachforscher nachgespürt. Und er ist bemüht, ihn in seiner geschichtlichen Mannigfaltigkeit zur Darstellung zu bringen.

Von der Vielfalt und der allererst in ihr zum Ausdruck kommenden Universalität des menschlichen Geistes hat Humboldt durch seine vergleichenden Sprachstudien einen denkbar umfassenden Eindruck vermittelt. So gibt es in der jüngeren Geistesgeschichte gleich mehrere eminente Quellen, die den „Geist der Menschheit“ zum Thema machen. Zum Beispiel Hegels spekulative Theorie der Entfaltung des Geistes aus der Natur bis hin zu den höchsten Leistungen der Religion, der Kunst und der Philosophie. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies