Die Aufgabe der Intellektuellen besteht darin, dem kollektiven Denken der Menschen einen besonders klaren Ausdruck zu verleihen – und das nicht nur zu ihrem privaten Vergnügen. Beispielsweise sah W. B. Yeats die Aufgabe seiner Dichtkunst darin, den Mythen und Archetypen der irischen Landarbeiter eine Stimme zu geben. Genauso wie in „Das wüste Land“ nicht T. S. Eliot spricht, sondern das, was er selbst ziemlich vollmundig den europäischen Geist nannte, so sieht sich W. B. Yeats einfach als Medium – fast im spiritistischen Sinne – für die zeitlose Weisheit des Volkes. Terry Eagleton nennt ein weiteres Beispiel: „Nach Martin Heideggers etwas düsterer Sichtweise besteht die Aufgabe des Dichters darin, dem Schicksal der Nation seine Sprache zu schenken. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.
T. S. Eliot möchte Elitismus und Primitivismus miteinander versöhnen
Es gibt wieder Arbeit für Künstler. In einem modernistischen Zeitalter, in dem einige von ihnen zu Einsamkeit und Exil gezwungen wurden, hat der Gedanke, dass sie immer noch von mehr als sich selbst sprechen können, für Terry Eagleton etwas Tröstliches. Wie viele moderne Intellektuelle möchte T. S. Eliot Elitismus und Primitivismus miteinander versöhnen. Das Zivilisierte und das Elementare müssen miteinander in Dialog treten. Das Kultivierte muss mit dem Wilden gemeinsam die Schulbank drücken.
Oder anders gesagt, der entwurzelte Intellektuelle muss unter den einfachen Menschen eine Heimat finden. T. S. Eliot lebte in der Fremde, und wie viele Auswanderer neigte er in besonderem Maße dazu, die Idee der Verwurzelung zu romantisieren. Das mag ein Grund für T. S. Eliots Antisemitismus der frühen Jahre gewesen sein, da Juden traditionell als heimatlose Wanderer gelten und damit dem intellektuellen Vagabunden ein hässliches Bild der eigenen Situation liefern. Wie einige andere Vertreter der Moderne vermochte T. S. Eliot seine eigene Entwurzelung zu rationalisieren.
Eine Kultur befindet sich immer im Werden
Terry Eagleton schreibt: „Wenn es ein konservative Sicht von Kultur als sozialem Unbewussten gibt, so gibt es auch eine radikale Version dieser Auffassung.“ Anders als T. S. Eliot verbindet Raymond Williams das soziale Unbewusste mit der Tatsache, dass eine Kultur sich immer im Werden befindet. Sie könne nie ganz zu Bewusstsein kommen, was teilweise daran liege, dass sie nie abgeschlossen sei. Das Unbewusste einer Kultur ist also unter anderem eine Auswirkung ihrer Geschichtlichkeit. Kultur sei die Zukunft, die man nicht kennen könnte.
Kultur ist nicht einfach der verhüllte Subtext des gegenwärtigen Denkens und Handelns eines Menschen; deshalb kann man nie sicher sein, welche gegenwärtigen kulturellen Entwicklungen sich als fruchtbar und welche sich als Sackgassen erweisen würden. T. S. Eliot dagegen meint zu wissen, welche Werte zu bejahen sind, und braucht nicht auf die Zukunft zu warten, um es herauszufinden. Geschichtlichkeit ist für Raymond Williams also ein Grund, warum sich eine Kultur nie vollständig beschreiben lässt. Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton
Von Hans Klumbies