Im Jahr 1776 löst sich Amerika von England

Bekanntlich entflammte der amerikanische Freiheitsdrang am Problem der Steuererhebung. Der Kampfruf „No taxation without representation“ rief die revolutionären Kräfte der neuen Welt auf in den Kampf gegen das englische Mutterland. Silvio Vietta blickt zurück: „Mit der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 löste sich Nordamerika von England durch die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Thomas Jefferson, der wichtigste Autor der „Declaration of Independence“, hatte John Locke und andere Aufklärer gelesen. Die neue Staatsgründung sollte die Sicherheit und auch das Glück ihrer Bürger gewährleisten. Und sie sollte die Bürger schützen, vor allem auch durch die Bindung der Repräsentanten der Macht an das Recht. Dies sollte mittels Freiheitsgarantien und Gewaltenteilung geschehen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Die Menschen haben das Recht nach Glück und Sicherheit zu streben

Die dreizehn verschiedenen Staaten Nordamerikas haben in unterschiedlichen Konventen Vorformen der Verfassung beraten. Die älteste und einflussreichste Grundrechtserklärung hat am 12. Juni 1776 Virginia verabschiedet, die „Virginia Bill of Rights“. Darin heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind von Natur gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte. […] Nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu behalten und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.“

Damit war ein Programm vorgelegt, das auch als Grundlage der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika noch im selben Jahr dienen konnte. Silvio Vietta weiß: „Das Eigentum sichern war ein Hauptanliegen der europäischen Staatstheoretiker. Die in der europäischen Aufklärung geschulten Amerikaner aber führen hier an zentraler Stelle einen neuen Begriff ein, der das Kapitel aufschlägt: Staat und Glück.“ Der Begriff „Glück“ hat sicher vielfältige Konnotationen, meint aber ein durchaus irdisches Glück.

Der Staat kann Entscheidendes zum Glück der Bürger beitragen

Thomas Jefferson kontrastiert nämlich das Glück, das er sich vom Staat in der neuen Welt verspricht, mit dem Unglück vieler Bürger in der alten Welt. In diesem Sinne ist sein Glücksbegriff einer, zu dessen Erlangung der Staat Entscheidendes beitragen kann. Er ist Bedingung der Möglichkeit für das Glück seiner Bürger, ein grandioser neuer Staatsbegriff. Er hat zwei Aspekte: erstens das Glück seiner Bürger im einzelnen, zweitens das Glück möglichst vieler Bürger des Staates.

In diesem Sinne fordert die „Bill of Rights“ von Virginia bereits in Artikel 3, dass die Regierung „ein Höchstmaß an Glück und Sicherheit“ für ihre Bürger garantieren solle. Dieses Glück steht über die individuelle Lebensführung hinaus für die Wohlfahrt des Gemeinwesens insgesamt. Silvio Vietta erläutert: „Diese neuzeitliche Begründung der Demokratie in Amerika war eine Sternstunde der Menschheit. Sie war aber zugleich auch eine Katastrophe. Wie das? Das hängt mit dem Begriff der Menschheit – alle Menschen – den die amerikanischen Verfassungsentwürfe und Verfassungen zugrunde legen. „Alle Menschen“ meint eben nicht „alle Menschen“. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta

Von Hans Klumbies