Serge Latouche vertritt das Konzept der Wachstumsrücknahme

In der jüngsten Zeit ist in den unterschiedlichsten Medien der Begriff „Degrowth“ zu lesen. Selbst die Politik beschäftigt sich seit Neuestem mit der Wachstumsrücknahme – nicht nur die Grünen. Serge Latouche fügt hinzu: „Außerdem steht Degrowth im Mittelpunkt der zunehmend militanten regionalen wie lokalen Proteste gegen Großprojekte.“ In Italien und Frankreich und neuerdings auch in Spanien und Belgien bilden sich spontan Gruppen die dem unendlichen Wachstum kritisch gegenüberstehen. Sie organisieren Demonstrationen und Protestmärsche und richten Netzwerke ein. Außerdem ist der wachstumskritische Ansatz die Basis von individuellen wie gemeinschaftlichen Aktionen. Dazu zählen auch Zusammenschlüsse von Verbrauchern, die einen bewusst schlichten Lebensstil propagieren. Serge Latouche ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Sud. Der Ökonom und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vordenker des französischen Konzepts der Rücknahme des Wachstums.

Die Menschen werden zum Abfallprodukt degradiert

„Degrowth“ oder Wachstumsrücknahme ist zunächst einmal ein politisches Schlagwort mit theoretischen Implikationen. Paul Ariès definiert „Degrowth“ wie folgt: „Es ist ein Wort mit Schlagkraft, das die Phrasendrescherei der Produktionssüchtigen verstummen lässt.“ Serge Latouche möchte mit dem Begriff „Degrowth“ in erster Linie ausdrücken, dass sich die Menschen vom Ziel des exponentiellen Wachstums verabschieden müssen, da dieses Ziel nur für die Profitgier der Kapitaleigner steht, mit verheerenden Folgen für die Umwelt und damit auch für die Menschheit.

Die Gesellschaft der Moderne wird dabei im Interesse der Prozesse der Produktion zu einem Instrument oder Mittel degradiert, und die Menschen werden zum Abfallprodukt eines Systems erklärt, das sie am liebsten als nutzlos und überflüssig ansehen möchte. Serge Latouche fordert nicht mehr und nicht weniger einen Glauben oder eine Religion aufzugeben – den Glauben an die Wirtschaft, an Fortschritt und Entwicklung – sowie die irrationale und fast schon götzenhafte Verehrung des Wachstums um des Wachstums willen.

Der Begriff Nachhaltigkeit wird zur Vernebelung benutzt

Das Ziel der „Degrowth-Bewegungen“ ist der Aufbau einer Gesellschaft, die den Menschen ein besseres Leben mit weniger Arbeit und weniger Konsum ermöglicht. Dies ist ein erster notwendiger Schritt, wollen sich die Menschen wieder Raum schaffen für den Einfallsreichtum und die Kreativität der vom entwicklungs- und fortschrittshörigen Totalitarismus unterdrückten Vorstellungskraft. Der Begriff „Degrowth“ wurde unter anderem auch deshalb entwickelt, um die Augenwischerei und Verwirrung zu vermeiden, die der inflationär gebrauchte Begriff der „Nachhaltigkeit“ hervorruft.

Ein Indiz dafür, dass Nachhaltigkeit, wie so viele andere Begriffe, zur Vernebelung benutzt wird, findet sich in den Aussagen von Topmanagern wie Nestlés ehemaligen Generaldirektor Peter Brabeck-Letmathe: „Nachhaltigkeit lässt sich ganz einfach definieren: Wenn Ihr Urgroßvater, Ihr Großvater und Ihre Kinder treue Nestlé-Kunden bleiben haben wir Nachhaltigkeit hergestellt. Und dies gilt für mehr als fünf Milliarden Menschen auf der Welt.“ Der Generaldirektor der französischen Einzelhandelskette Leclerc, Michael-Éduard Leclerc, drückt den gleichen Sachverhalt wie folgt aus: „Der Begriff Nachhaltigkeit ist so weit gefasst, dass er sich auf alles und jeden anwenden lässt.“ Quelle: „Es reicht!“ von Serge Latouche

Von Hans Klumbies