Kurznachrichten hemmen das Denken

Denken braucht Konzentration, die ihrerseits ungestörte Zeit erfordert. Wer sich dem reißenden Strom der Kurznachrichten öffnet, dessen Konzentration wird im Nu weggeschwemmt sein. Rolf Dobelli ergänzt: „News machen einen seichten Denker aus Ihnen. Aber nicht nur das. Sie beeinträchtigen Ihr Gedächtnis.“ Es gibt zwei Arten von Gedächtnis. Das Langzeitgedächtnis besitzt eine hohe Speicherkapazität, während das Arbeitsgedächtnis nur wenig aufnehmen kann. Der Weg vom Arbeits- zum Langzeitgedächtnis führt durch einen Engpass im Gehirn. Was immer ein Mensch verstehen möchte, es muss diesen Punkt passieren. Das geht bei abstrakten Informationen nur über Konzentration. Weil Kurznachrichten die Konzentration stören, schwächen sie aktiv das Verstehen. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Die größte Ablenkung liefern Online-Videos

Das menschliche Gehirn braucht eine Aufwärmphase, um für neue Eindrücke überhaupt empfänglich zu sein. Um zum Beispiel Konzentration beim Lesen aufzubauen, muss man einer Lektüre mindestens zehn Minuten widmen. Rolf Dobelli warnt: „Steht weniger Zeit zur Verfügung, verarbeitet Ihr Gehirn die Informationen nur oberflächlich und kann sie nicht speichern.“ Schlimmer noch als gedruckte News sind Online-News. Eine Studie des amerikanische Autors Nicholas Carr hat gezeigt, dass das Textverständnis abnimmt, je mehr Hyperlinks ein Dokument hat.

Warum ist das so? Weil das Gehirn bei jedem Link entscheiden muss, ob er einen Klick wert ist oder nicht. Das ist eine permanente Ablenkung, wie wenn das Telefon alle paar Sekunden klingeln würde. Die größte Ablenkung aber liefern Online-Videos – besonders, wenn sie mit sensationellen Start-Bildern auftrumpfen. Das Gehirn wird kaum die Willenskraft aufbieten, nicht darauf zu klicken. Und schon sind wieder ein paar wertvolle Minuten des Lebens verstrichen. Beziehungsweise viel mehr als ein paar Minuten, denn gleich wird das nächste Video angepriesen. Und das übernächste.

Der Mangel an Aufmerksamkeit hat sich ins Unermessliche gesteigert

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon erkannte das Problem schon vor einem halben Jahrhundert: „Was die Information konsumiert, ist ziemlich klar: Sie konsumiert die Aufmerksamkeit ihrer Empfänger. Der Überfluss von Information führt zu einem Mangel an Aufmerksamkeit.“ Heutzutage hat sich der Mangel an Aufmerksamkeit dank Alerts, Textnachrichten, News-Feeds, News-Pop-ups und anderen Unterbrechungen ins Unermessliche gesteigert. Nicht mehr der Mensch findet die News, die News finden ihn. Wo auch immer er ist.

Warum geben sich viele Menschen dieser digitalen Ablenkung derart leichtfertig hin? Rolf Dobelli kennt die Antwort: „Weil die Algorithmen der Medienkonzerne genau wissen, mit welchen Bildern und Videos unsere Willenskraft am besten zu überwältigen ist.“ Diese Algorithmen werden von Monat zu Monat besser und die Ausgangslage des Konsumenten immer schlechter. Der Besuch jeder News-Website ist ein Kampf zwischen Verlockung und Willenskraft – wobei die Willenskraft in den meisten Fällen verliert. Quelle: „Die Kunst des digitalen Lebens“ von Rolf Dobelli

Von Hans Klumbies