Die Demokratie braucht keine Nachrichtenflut

Interessanterweise lebten die geistigen Väter der modernen Demokratie wie Jean-Jacques Rousseau, David Hume, John Locke und Montesquieu in einer Zeit vor der Nachrichtenschwemme. Dennoch gab es damals einen gehaltvollen politischen Diskurs. Einerseits wurde er über Bücher, Pamphlete, Essays, Debattierklubs und öffentliche Versammlungen geführt. Anderseits schossen überall politische Salons aus dem Boden, die zu einem lebhaften politischen Diskurs beitrugen. Interessanterweise führten diese Begegnungsstätten meist Frauen. Rolf Dobelli fügt hinzu: „Die großen demokratischen Umwälzungen der letzten vierhundert Jahre brauchten keine Tagesschau, keine Nachrichtenportale und keine News-Feeds.“ Dazu zählen die Amerikanische Revolution, die Französische Revolution, die Revolutionen von 1848 und der Fall der DDR. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Auch ohne News können die Wähler vernünftig abstimmen

Im antiken Griechenland vor 2500 Jahren funktionierte die Demokratie ohne Zeitungen, Fernsehen und Internet. Allerdings handelte es sich dabei um eine Demokratie der Eliten unter Ausschluss von Frauen, Sklaven und Männern unter dreißig. Man informierte sich, indem man nachdachte und diskutierte. Zurück zur heutigen Zeit. Wie soll man ohne News vernünftig wählen und abstimmen. Rolf Dobelli empfiehlt für Wahlen: „Schauen Sie in erster Linie auf das Erreichte und erst in zweiter Linie auf die Versprechen der Kandidaten.“

Bei Abstimmungen präsentiert sich die Lösung noch einfacher. In der Schweiz bekommen die Stimmbürger vor einer Abstimmung den Text der vorgeschlagenen Gesetzesänderung frei Haus geliefert. Inklusive der wichtigsten Argumente dafür un dagegen. Das ist eine solide Grundlage, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Rolf Dobelli diskutiert die Vorlagen dann noch mit zwei, drei Freunden, um die Gegenposition zu seiner einzuholen. Erst wenn er die Gegenposition zu seiner Meinung ebenso gut vertreten kann, fühlt er sich qualifiziert, über das Thema zu reden und abzustimmen.

News führen zur Polarisierung der Gesellschaft

News sind für die Demokratie nicht nur unwichtig. Manchmal sind sie sogar schädlich. Niemand bezweifelt, dass die Qualität des politischen Diskurses in den letzten dreißig Jahren spürbar abgenommen hat. Diese Zeitspanne deckt sich just mit dem Anschwellen der Nachrichtenflut. Eine Unmenge privater Fernseh- und Radiosender trat auf den Plan. Gratiszeitungen überschwemmten den Markt. Reine News-Kanäle drängten ins Netz. Das Internet erlaubte es, die irrelevantesten Nachrichten kostenlos zu verbreiten.

Ab 2007, dank den Smartphones fanden die News ihren Weg in die hintersten Winkel der Privatsphäre. Sie lagen fortan ständig in den eigenen Händen, steckten in den Hosentaschen und schlüpften mit ins Bett. Bei den News gilt inzwischen folgende Faustregel: Je lauter die einen schreien, desto lauter müssen die anderen schreien. Je skandalöser eine Seite argumentiert, desto skandalöser müssen die anderen zurückschießen. Für Rolf Dobelli ergibt sich daraus folgende Konsequenz: weißes Rauschen und eine polarisierte Gesellschaft. Quelle: „Die Kunst des digitalen Lebens“ von Rolf Dobelli

Von Hans Klumbies