Die Meinungsfreiheit dient der Wahrheitssuche

Eines der stärksten Argumente für die Meinungsfreiheit lautet, dass sie den Menschen bei der Suche nach der Wahrheit hilft. Auf den vielen Wegen dieser Suche sollte es so wenig Hindernisse und so viele offene Plattformen der Kommunikation wie nur möglich geben. Timothy Garton Ash betont: „Alles, was uns dazu befähigt, Wissen zu schaffen, zu erwerben und weiterzugeben, hat ein besonderes Anrecht auf Schutz und Förderung.“ Die Naturwissenschaften, in deren Geschichte sich illegitime Beschränkungen zuhauf finden, bieten einen guten Ausgangspunkt. Man denke nur an den italienischen Gelehrten Galileo Galilei. Ihn zwang die römisch-katholische Kirche im Jahr 1633, seine Behauptung zu widerrufen, die Erde drehe sich um die Sonne. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

An Universitäten darf es keine Tabus geben

In der heutigen Welt sind private Mächte mitunter ebenso einflussreich wie staatliche Organe. In ihr blockieren oder verschleiern auch Konzerne und Berufsverbände Forschungen und Recherchen. Vor allem dann, wenn deren Ergebnisse ihren Interessen schaden könnten. Natürlich gibt es legitime Grenzen für die Verbreitung von wissenschaftlichen Wissen. Aber gerade Universitäten sollten Orte sein, an denen man Ideen ohne Tabus debattiert. Universitäten streben danach, eine Umwelt zu erzeugen, in der man alle konkurrierenden Behauptungen und kontroversen Meinungen hören kann. Niemand darf sich hier bedroht oder eingeschüchtert fühlen.

Das ist ein Balanceakt. Und es gab niemals ein Goldenes Zeitalter, indem die Universitäten diese Forderung perfekt erfüllten. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ebenso wenig ist Wissenschaftsfreiheit heute die globale Norm. In vielen Ländern sind die Universitäten alles andere als frei.“ Im Interesse einer qualitativ hochwertigen Debatte sollte sich der Campus einer Universität – wie der Plenarsaal eines demokratischen Parlaments – durch eine zivilisierte Selbstregulation auszeichnen. Universitäten sind der letzte Ort, an dem zum Beispiel das Veto eines Zwischenrufers die Oberhand behalten darf.

Totalitäre Systeme fälschen die Geschichte

Das Wissen um die Vergangenheit ist ein Bereich, in dem das Prinzip der Meinungsfreiheit von ganz besonderer Bedeutung ist. Und besonders häufig verletzt wird. Timothy Garton Ash erläutert: „Immer wieder versuchen Staaten, Gruppen, Kirchen und andere Institutionen, Debatten über vergangene Ereignisse zu unterbinden, zu begrenzen oder zu dominieren. Denn sie glauben, sie könnten noch immer die Gegenwart oder die Zukunft beeinflussen.“ Dasselbe gilt für die Debatte über historische Persönlichkeiten, die zwar tot, aber in diesem Sinne noch lebendig sind.

Mit die berüchtigtsten Beispiele dafür stammen von totalitären Systemen. Diese vertuschen systematisch Episoden aus ihrer Geschichte oder stellen sie falsch dar. In China kann man noch heute nicht frei über die Vorgänge sprechen, die sich 1989 auf und um den Platz des Himmlischen Frieden abspielten. In der Islamischen Republik Iran darf eine kritische Biografie des Staatsgründers Ayatollah Chomeini nicht veröffentlicht werden. Solche Maßnahmen beschränken sich leider nicht nur auf totalitäre und autoritäre Regierungen. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies