Die Wahrheit ist in großer Gefahr

Es tobt eine Riesenschlacht um die Wahrheit. Es gibt Fake News, alternative Fakten, Verschwörungstheorien, die Lügenpresse und ein postfaktisches Zeitalter. Die Öffentlichkeit wird erschüttert von Schlagworten und Diskussionen um alles oder nichts. Peter Trawny warnt in seinem neuen Buch „Krise der Wahrheit“: „Die Situation ist unübersichtlich. Es droht ein allgemeiner Orientierungsverlust. Alles weist darauf hin, dass es einen gefährlichen Anschlag auf die Wirklichkeit gibt, eine Krise der Wahrheit.“ Aus unsichtbaren Informationskanälen bricht ein Virus hervor und vergiftet die Gesellschaft. Ein Streit um die Deutungshoheit der Wahrheit ist unvermeidbar. Der Naturwissenschaft liegen Regeln zugrunde, die alle kennen können und wenig Anlass zu Misstrauen bieten. Die Frage wäre also, warum man diese Regeln zu ignorieren versucht. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Tatsachen sind Wahrheiten

Peter Trawny thematisiert die Krise der Wahrheit in allen möglichen Zusammenhängen. Nämlich in Philosophie, Literatur, Kunst, Religion, Kunst, Naturwissenschaft, Geschichte, Politik, im gesellschaftlichen und intimen Kontext. Das Buch klingt laut Peter Trawny da und dort ironisch, manchmal sentimental, auch ernst, kritisch, gelehrt, bitter und nüchtern. Gemäß dem Thema hat der Autor versucht, ehrlich zu sein, nicht zuletzt sich selbst gegenüber. Er weiß aber, wie selten das gelingt.

Tatsachen sind Wahrheiten, so viel steht fest. Der Streit um den Klimawandel ist nicht mehr zu diskutieren, ob er stattfindet: Das ist eine Tatsache. Es kann nur noch darum gehen, wie die Menschheit auf ihn antwortet, welche Maßnahmen sie ergreifen kann, um noch zu retten ist, was zu retten ist. Über die Existenz einer Tatsache zu streiten ist sinnlos. Man kann Tatsachen vielleicht ignorieren. Doch dann geschieht es, dass sie einen in potenzierter Form einholen. Tatsachen haben überdies den Sinn, einen Konsens zu ermöglichen.

Die Geschichte ist die Matrix der Wahrheit

Es war Hannah Arendt, die gegen den alten Geist der Philosophie betonte, dass nicht Wahrheit, sondern Meinung die eigentlich politische Äußerungsform darstellt. In einer Demokratie hört man niemals auf, politische Fragen zu erörtern, und sorgt dafür, dass alle, die wollen, an diesen Erörterungen teilnehmen können. Wenn da einer im gewaltigen Namen der Wahrheit erscheint, verstummt das Gespräch. Der Einbruch der Wahrheit in die politische Sphäre bedeutet jedoch noch anderes. Die Meinung muss revidierbar sein.

Es gibt Philosophen, die eine absolute Wahrheit für sich reklamieren, von der Hannah Arendt meint, dass es sie „für uns Sterbliche nicht geben“ könne. Hegel ist sich beispielsweise im Klaren darüber, dass die Wahrheit eine Geschichte hat. Das zeigt sich in dem bekannten Gedanken, in der Weltgeschichte müsse sich die Freiheit erst zu ihrem Bewusstsein durchkämpfen, den Menschen an sich als frei zu betrachten. Auch Peter Trawny betont, das die Geschichte die Matrix der Wahrheit ist.

Krise der Wahrheit
Peter Trawny
Verlag: S. Fischer
Gebundene Ausgabe: 254 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-10-397065-4, 23,00 Euro

Von Hans Klumbies