In seinem Buch „Nach Gott“ stimmt der Philosoph Peter Sloterdijk einen radikalen Abgesang auf den jüdisch-christlichen Monotheismus an. Der Autor vertritt die These, dass auch Götter sterblich und dem Gesetz der Geschichte unterworfen sind. Solange Menschen denken können, müssten Götter sterben oder wurden ins Exil geschickt – ob nun die Gottheiten des antiken Polytheismus oder die der germanischen Mythologie. Irgendwann war ihr sinngebendes Potential verbraucht und es trat schleichend ihre Agonie ein. Ihr Tod wurde notwendig, um Raum für einen neuen Lebenszyklus mit neuen Göttern zu schaffen. Laut Peter Sloterdijk befindet sich die Menschheit im 21. Jahrhundert in einer Epoche der erneuten Götterdämmerung, wobei es sich um die allmähliche Sinnentleerung des Bildes vom allmächtigen und allwissenden Gott handelt, der graduell ausblutet und zwangsläufig verblasst.
Der Mensch tritt Gott als Schauspieler gegenüber
Peter Sloterdijk erläutert: „Doch die Leichenblässe des monotheistischen Schöpfergottes ist nicht das Zeichen für die Ankunft eines neuen Göttergeschlechts. Das ist neu an unserer Zeit: Die kreative Intelligenz der Gegenwart bündelt sich nicht mehr in einem neuen Gottesbild, sondern fließt ab in die vom Menschen geschaffenen Werke und Artefakte, seine Institutionen und Maschinen, die sich von ihren Urhebern gelöst haben un dein Eigenleben führen.“ Vor allem aber ist der Gottesglaube für Peter Sloterdijk eine Form von Geisteskrankheit.
Das ist seiner Meinung nach deshalb der Fall, weil der Monotheist und der Allgegenwart eines transzendenten Dauerbeobachters steht, der ihn von außen und innen durchleuchtet. Dadurch wird sein Glaube zu einer Art metaphysischen Verfolgungswahn. Deswegen sieht sich ein solcher Mensch genötigt, Strategien der Verstellung wie Hypokrisie und Lüge zu entwickeln und Gott als Schauspieler gegenüberzutreten. Als Paradebeispiel eines Menschen, der seine innere Mitte verloren und sich durch seinen Glauben in eine Situation neurotischer Exzentrierung manövriert hat, gilt für Peter Sloterdijk Martin Luther.
Der monotheistische Gott ist überflüssig geworden
Sowohl Martin Luther als auch Jesus sind laut Peter Sloterdijk Ausgeburten eines Gotteswahns, der sich überlebt hat. Beide sind sie die sublimierenden Blüten einer krankmachenden Religion, die den Menschen in einen Zustand der Selbstentfremdung versetzt hat. Deshalb müssen sie von der Bühne der Weltgeschichte abtreten. Der monotheistische Gott ist überflüssig geworden, er ist der große Unbrauchbare im modernen Zivilisationsbetrieb. Aber eine Welt ohne Gott wird keineswegs eine bessere Welt sein.
Die entgötterte Welt beschreibt Peter Sloterdijk als technokratisch, medial und diffus. In ihr ist das nachbabylonische Prinzip Vernetzung und Künstlichen Intelligenz an die Stelle des Prinzips Turmbau getreten. Die Menschen sind, klagt Peter Sloterdijk, so sehr Befehlsempfänger eine Computer- und Maschinenwelt geworden, dass Visionäre wie Stephen Hawking die „Überwältigung des Menschen durch ihre digitalen Golems“ befürchten. Doch dieser Ernstfall ist längst eingetreten: die Menschheit lebt bereits in einer Monster-Welt. Quelle: Abendzeitung
Von Hans Klumbies