Alle Lebewesen müssen möglichst sparsam mit ihrer Energie umgehen

Es klingt auf den ersten Blick ziemlich weit hergeholt, aber indem die Menschen eine Vorstellung von einem würdevollen Leben entwickeln und sie zur Grundlage der Gestaltung ihres Lebens und der Steuerung ihres Verhaltens machen, folgen sie eigentlich nur den Gesetzmäßigkeiten, die sich aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ergeben. Gerald Hüther erläutert: „Der besagt, dass alle natürlichen Prozesse auf die gleichmäßige Verteilung von Energie ausgerichtet sind. Alle Lebewesen müssen deshalb über die Fähigkeit verfügen, eine innere Ordnung aufzubauen, die dieser Tendenz entgegenwirkt.“ Je besser ihnen das gelingt, desto wahrscheinlicher wird ihre Überlebensfähigkeit. Je weniger Energie sie für die Aufrechterhaltung ihrer inneren Ordnung verbrauchen, desto besser sind sie in der Lage, ihrer eigenen Auflösung zu widerstehen. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik bestimmt die Arbeitsweise des Gehirns

Somit lässt sich aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ein äußerst interessantes Grundprinzip ableiten, das nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch die Strukturierung des menschlichen Gehirns bestimmt. Bei allem, was dort oben passiert, geht es um eine möglichst optimale Nutzung der vom Körper in Form von Glukose und Sauerstoff bereitgestellten und über das Blut zum Gehirn transportierten Energiereserven. Diese Energiezufuhr ist begrenzt, und das Gehirn ist deshalb gezwungen, seine Arbeitsweise so zu organisieren, dass es nicht mehr Energie verbraucht als über die Blutbahn angeliefert wird.

Gerald Hüther schreibt: „Dieses Problem hat nicht nur das Gehirn zu lösen. Es ist ein grundsätzliches Problem aller lebenden Systeme: Sie sind alle gezwungen, eine innere Ordnung zu entwickeln und die Beziehungen ihrer Konstituenten so zu organisieren, dass der zur Aufrechterhaltung des bestreffenden Systems erforderliche Energieverbrauch so gering wie möglich bleibt.“ Gelingt das nicht, geht es zugrunde, zerfällt, und die in ihm enthaltene Energie verteilt sich wieder gleichmäßig im Universum.

Das Gehirn benötigt bereits im Ruhezustand zwanzig Prozent der Körperenergie

Das menschliche Gehirn hat nun aber insofern ein ganz besonderes Problem mit diesem Grundgesetz, weil es bereits im „Ruhezustand“, wenn ein Mensch also gar nichts tut und auch nichts denkt, für die dort auch dann noch ablaufenden Prozesse bereits rund zwanzig Prozent der vom Körper insgesamt bereitgestellten Energiemenge verbraucht. Das ist viel, und dieser Energieverbrauch steigt dramatisch an, sobald ein Mensch nun auch noch zu denken anfängt, ein Problem lösen muss, Konflikte hat oder etwas Neues lernen soll.

All das zählt daher nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen eines menschlichen Gehirns. Es führt zunächst zu unangenehmen Gefühlen und schließlich sogar auf körperlicher Ebene zu einem Zustand von Erschöpfung. Gerald Hüther weiß: „Das ist unangenehm, und das vermeiden wir deshalb lieber. Und wir haben ja auch alle ziemlich gut gelernt, wie das geht: durch Verdrängung, Ablenkung, Abspaltung, durch Weghören und Wegschauen, durch Abschalten, Verleugnen und was sonst noch alles für Strategien zur Drosselung des Energieverbrauchs durch Selbstberuhigung geben mag.“ Quelle: „Würde“ von Gerald Hüther

Von Hans Klumbies