Es gibt verschiedene Formen der Freiheit

Die Freiheit zur Selbstgestaltung des eigenen Lebens hat je nach Lebenssituation und persönlichen Zielsetzungen einen unterschiedlichen Inhalt. Paul Kirchhof nennt ein Beispiel: „Als die Deutschen 1945 hungerten, nicht wussten, ob sie den nächsten Winter überleben und ob Krankheiten und Seuchen sie vernichten werden, begehrten die Befreiung aus existenzieller Not. Sie kämpften für die Normalität einer Mahlzeit, eines Mantels, einem Dach über dem Kopf.“ Vorher waren sie ständig von der Geheimen Staatspolizei und von Bombenangriffen bedroht. Jetzt sehnten sie sich nach einer Freiheit von Angst. Sind diese elementaren Bedürfnisse befriedigt, beginnt der Kampf um politische Freiheiten. Dieser wendet sich gegen Tyrannei und Sklaverei. Zudem fordert er eine Freiheit von Unterdrückung. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Der Amtsträger ist der Freiheit des anderen verpflichtet

Ist diese gesellschaftliche Freiheit erreicht, sucht der Freie individuell Einfluss auf das Gemeinwesen zu gewinnen, beansprucht das Recht, zu wählen und gewählt werden zu können, also die mitgestaltende Freiheit im Staat. Diese Freiheit im Staat ist Freiheit in besonderer Verantwortung. Paul Kirchhof erklärt: „Wer sich als Kandidat für ein staatliches Amt bewirbt, beansprucht die Freiheit, Macht auszuüben, oder die Freiheit, sich auszuzeichnen, Ruhm und Ehre zu erringen.“

Der Amtsträger ist der Freiheit des anderen verpflichtet, bei Ausübung des Amtes nicht selbst freiheitsberechtigt. In einer rechtlich eng strukturierten, vernetzten und wirtschaftsbezogenen Welt gewinn die Freiheit, für sich zu sein, besonderes Gewicht. Der Freie will zeitweilig nicht beobachtet sein, weder von Staat noch von digitalen Mächten. Er möchte sich eine Privatsphäre der Vertraulichkeit, der eigenen Wohnung und der Selbstdarstellung bewahren.

Der Staat muss den Freien gegen Dritte schützen

Der Freie will über Inhalt, Adressaten und Zeitpunkt seiner Äußerungen und Verlautbarungen selbst bestimmen, nicht zu Äußerungen gedrängt, nicht abgehört werden, seine Daten bei der Nutzung technischer Medien nicht aufgezeichnet wissen. Dieser Freiraum des Privatlebens, der selbstbestimmten Begegnungen, des Geheimnisses schützt gegen Eingriffe staatlicher und wirtschaftlicher Macht. In der Gegenwart mächtiger Weltunternehmen, steuernder digitaler Systeme und allpräsenter Medien wachsen die Gefahren einer Bedrohung der Freiheit auch durch freiheitsberechtigte Mächte.

Freiheit steht gegen Freiheit. Der Staat muss erneute den Freien gegen Dritte schützen. Er ist Garant der Freiheit, bleibt dabei aber auch in der Rolle eines potenziellen Gegners der Freiheit. Die deutsche Verfassung versteht den Menschen als freie, selbstbestimmte Person, die ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nimmt, ihre Lebensbedingungen selbstbewusst zum Guten gestaltet. Der Bürger sucht zusammen mit Mitbürgern sein Gemeinwohl im gemeinsamen Freiheitserfolg, gehört einer lebenswerten, ihr Glück suchenden Gesellschaft an. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies