Der Staat muss seine Befugnisse begrenzen

Sicherheit und öffentlicher Frieden setzen voraus, dass der Staat die Gestaltung des individuellen Lebens in der Freiheit des Bürgers belässt. Und dass er im Freiheitsvertrauen auf die Redlichkeit und Tüchtigkeit seiner Bürger und Wähler seine eigenen Aufgaben und Befugnisse begrenzt. Paul Kirchhof erläutert: „Gemeinschaftliche Lebensbereiche wie die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kunst, insbesondere das Familienleben bleiben in privater Hand.“ Diese Freiheit schafft Vielfalt. Sie setzt auf die Bereitschaft zum Wagnis, erwartet neue Entwicklungen, erlaubt Korrektur und Erneuerung auch im Prinzipiellen. Das Grundgesetz fordert vom Staat, dass er um des inneren Frieden willen die Frage nach der religiösen Wahrheit offenlässt. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Der Staat gewährleistet den religiösen Frieden

Die Frage nach der Existenz Gottes, nach dem wahren Gott, den richtigen Formen und Riten beantwortet der Staat nicht. Der Staat bietet der Religion auch Entfaltungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum, insbesondere in Schulen, in Bildungseinrichtungen sowie in der Kulturpolitik. Gegenwärtig treffen die Kultur des Christentums und die des Islam aufeinander. Dabei sichern Gesetzestreue, religiösen Neutralität und die Idee der religiösen Toleranz den Frieden unter den Religionen.

Der Staat wird nicht neue Gegensätze aufbauen, sondern religiösen Frieden ohne Gewalt gewährleisten. Dabei wird er Menschen vor Religionen schützen, wenn sie von Herrschaftswilligen in Anspruch genommen werden, um politische Macht zu begründen. Das Recht grenzt die Interpretation religiöser Texte von der rechtlich nicht tolerablen Gewaltempfehlung ab. Es weist jede Gewalt im Namen einer Religion zurück. Religion ist von Gewalttheorie und Gewalttätigkeit fernzuhalten, der Bürger vor religiös verbrämtem Unfrieden zu schützen.

Der Staat besitzt das Gewaltmonopol

Paul Kirchhof stellt fest: „Das Gewaltmonopol des Staates und korrespondierend das Gewaltverbot für die Gesellschaft sind der rechtliche Rahmen auf für das Recht auf Religionsfreiheit.“ Gewaltverbot und Religionsfreiheit sind Teil derselben Rechtsordnung. Diese ist eine Friedensordnung der Gewaltfreiheit und Toleranz. Der Staat muss – ebenso wie die Kunst, die Wissenschaft und die Religion – anerkennen, dass Unbegreifbares nicht begreifbar ist.

Dieses erlebt der Wissenschaftler täglich. Der Künstler bringt dieses in Bildern und Formensprache zum Ausdruck. Die Philosophie lehrt annähernde Gedanken an das Unbegreifbare. Die Religion fordert vom Menschen, sich das Unbegreifbare als Teil des Menschlichen zu eigen zu machen. Jede Kultur fragt nach Gott und sucht einen Weg des Menschen, mit seinem Gott zu sprechen. Diese Grundsatzfrage bleibt staatlich und rechtlich unbeantwortet. Der einzelne Mensch ist auf seine Freiheit und die seine Freiheit mittragenden Gruppen verwiesen. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies