Islamismus und Rechtsextremismus sind siamesische Zwillinge

Was Deutschland gerade erlebt, ist keine regionale, auch keine nationale Besonderheit, keine Reaktion auf irgendein lokales politisches Missmanagement. Nils Minkmar, Historiker und Journalist, erklärt: „Der Aufstieg der radikalen Rechten ist eine schon lang bestehende und wohldurchdachte internationale politische Unternehmung. Ihr stehen beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung sowie das gesamte Arsenal der digitalen Kommunikationstechniken, und sie rekrutiert durchaus zweckmäßiges politisches Personal.“ Die rechtsextremen Bewegungen und Parteien arbeiten seit Jahrzehnten daran, an die Macht zu gelangen, treffen sich und verfeinern ihre Kommunikation. Einer durch die Finanzkrise, die Eurokrise und die Migration verunsicherten Bevölkerung bieten sie Entlastung an: Schuld sind immer die anderen. Doch das ist nur die eine Deutschland bedrohende Seite. Die andere ist die des militanten politischen Islamismus. Auch der ist seit Jahrzehnten aktiv.

Keiner wird als Islamist geboren

Beide aggressiven und illiberalen politischen und kulturellen Tendenzen – Islamismus und Rechtsextremismus – verstärken sich gegenseitig. Das ist die aktuelle Lage: Die Idee des liberalen Europa gerät in die Zange zweier ideologischer Kräfte. Und das entscheidende Schlachtfeld ist die Kultur. Bevor das nicht verstanden wird, gibt es auch keinen Ausweg. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud, der die Islamistenszene genau kennt, erläutert: „Man wird nicht als Islamist geboren. Bücher, Reden, Fernsehsendungen und natürlich die Propaganda im Netz machen dich dazu.“

Der Aufstieg der extremen Rechten in Europa wurde, so Kamel Daoud, erst durch das Feindbild der Islamisten und ihr Projekt der Islamisierung Europas möglich. Die Migranten der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders wurden, bis in die Achtzigerjahre hinein, gar nicht als Muslime wahrgenommen. Kamel Daoud sagt: „Die Islamophobie ist heute die Tochter des Islamismus.“ Der Politologe Claus Leggewie schreibt in seinem Buch über die „Anti-Europäer“, über die Denkweisen der beiden Deutschland bedrängenden Ideologien: „Sie sind siamesische Zwillinge, die sich hassen, aber doch nicht voneinander lassen können.“

Die populistischen und rechtsradikalen Ideologen sind nicht das Volk

In Algerien und der Welt des Nahen Ostens arbeiten Islamisten und militärisch gestützte Despoten nicht selten Hand in Hand, sie sind nicht nur Gegner, vielmehr stellen sie gegenseitig eine Lebensversicherung für den anderen dar. Nils Minkmar fügt hinzu: „Ihr gemeinsamer Feind ist die offene, multikulturelle Gesellschaft. Die offene Gesellschaft, die noch 1989 so unangreifbar schien, ist ideologisch in die Defensive geraten und hat es lange Zeit nicht bemerkt.“ Was tun? Europa muss kulturell reagieren, geschlossen, mutig und schnell. Lange war es nicht auf der Höhe dieser Herausforderung.

Man darf keine Angst davor haben, islamistische Ideologien anzugreifen, weil Türken und Araber sich beleidigt fühlen könnten. Und auch nicht davor, Populisten als Rechtsradikale zu bezeichnen, weil man damit einen Teil des wählenden Volke angreifen würde. Die Ideologen sind nicht das Volk. Diesen Eindruck erwecken zu wollen ist schon Teil ihrer Inszenierung. Es ist Zeit dagegenzuhalten, die Vorstellung von der offenen Gesellschaft fantasievoll zu propagieren. Nils Minkmar betont. „Die Propagierung der eigenen Werte und Vorstellungen von Humanismus, Toleranz und Freiheit ist die zentrale Aufgabe eigentlich aller, die aus der ideologischen Zange herausfinden wollen.“ Quelle: Der Spiegel