Was das Thema „eigene Kinder in die Welt setzen“ anlangt, hat sich der Zeitgeist stark gewandelt. Für frühere Generationen war das noch ein logischer, weiteren Entwicklungsschritt in der eigenen Biografie, der keiner gesonderten Diskussion bedurfte. Vorausgesetzt man hatte ein gewisses Alter erreicht im Idealfall sowohl eine abgeschlossene Berufsausbildung in der Tasche, als auch einen Ehering am Finger. Heute sieht das ganz anders aus. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Das mit dem „Kinderkriegen“ ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit geworden. Jede Menge verborgener Risiken scheinen auf einen zu warten, sodass man fast schon über ein Löwenherz verfügen und ein Abenteurer sein muss, um sich auf dieses Wagnis einzulassen.“ Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.
Immer weniger Menschen gehen langfristige Beziehungen ein
Auf jeden Fall hat das „Kinderkriegen“ seine Naturgesetzmäßigkeit verloren. Menschen bekommen nicht mehr einfach so Kinder, bloß weil sie erwachsen sind. Es ist schließlich ja gar nicht mehr erstrebenswert, dem Status des ewigen Jugendlichen zu entwachsen. Viele Menschen bekommen auch keine Kinder mehr, bloß weil sie sich verlieben und einen Mann oder eine Frau zu ihren Lebenspartnern machen. Für eine Elternschaft und damit Lebensphasenmarkierung ist das viel zu unsicher, denn heute gibt es höchstens noch „Lebensabschnittspartner“ und rastlose Selbstoptimierung.
Und einfach so Kinder zu kriegen, aus einem inneren Wissen heraus, trauen sich die meisten Menschen auch nicht. Oft vertrauen Menschen in der entsprechenden Lebensphase nicht mehr auf das, was ihre Intuition ihnen sagt. Martina Leibovici-Mühlberger erläutert: „Der richtige Zeitpunkt, abhängig von persönlicher Entwicklung, Lebensphase, Rahmenbedingungen und der grundsätzlichen Fähigkeit, langfristige Beziehungen einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, ist schwer zu finden.“
Vielen Menschen scheint das Vertrauen in sich selbst abhandengekommen sein
Manche Menschen sind auch der Überzeugung, sie würden den für sie richtigen Zeitpunkt sehr wohl spüren – nur scheint er eben nie zu kommen. Irgendeine Komponente passt nie! Eines möchte Martina Leibovici-Mühlberger allerdings klarstellen: „Es geht hier nicht um einen verantwortungslosen Umgang mit Fruchtbarkeit, bei dem Kinder vielleicht in bitterste Armut hineingeschleudert werden.“ Es geht hier um eine grundsätzliches Vertrauen in sich selbst und in die Welt und das scheint vielen Menschen abhandengekommen zu sein.
Der Verlust des Vertrauens in sich selbst und in die Umwelt ist die Schattenseite einer narzisstischen Gesellschaft. Un sie zieht einen Rattenschwanz von Kontrollen und Überreglementierungen nach sich, denn Narzissten sind ihrem Wesen nach ängstlich und süchtig nach Bestätigung. Beim Thema Kinderkriegen zeigt sich dies für viele moderne Menschen in besonders überfordernder, ja sogar Angst erregenden Form. Um Kinder zu kriegen, braucht es heute gute Gründe. In aller erster Linie für einen selbst. Wenn man sich für Kinder entscheidet, muss sich das in erster Linie auf das eigene Selbst beziehen. Quelle: „Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden“ von Martina Leibovici-Mühlberger
Von Hans Klumbies