Martha Nussbaum beschreibt einige menschliche Schwächen

Die Verachtung gleicht dem Zorn darin, dass sie ein Zielobjekt und einen Fokus hat: Ihren Fokus bilden eine oder mehrere Eigenschaften einer Person und ihr Zielobjekt ist die aufgrund dieser Eigenschaften als niedrig oder gering geltendes Individuum. In beiden Fällen handelt es sich bei dem Zielobjekt um eine Person. Martha Nussbaum ergänzt: „Der Fokus des Zorns aber liegt auf einer Handlung, jener der Verachtung auf einer oder mehreren relativ beständigen Persönlichkeitseigenschaften.“ Die Verachtung nimmt ihren Anfang in der angeblichen Niedrigkeit einer Person, der gewisse gute Charaktereigenschaften abgesprochen werden, seien es moralische oder soziale.“ Die ablehnende Haltung resultiert also aus der wahrgenommenen Niedrigkeit. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Der Neid ist eine schmerzvolle Emotion

Beim statusfokussierten Zorn hingegen resultiert die ablehnende Haltung aus etwas, das einen selbst betrifft, nämlich aus der Erniedrigung, die einem selbst durch die Tat, auf die sich der Zorn konzentriert, angeblich zugefügt wurde. Erst dann versucht man, das Zielobjekt der Emotion, eine Person, auf einen niedrigen Platz zu verweisen. Tatsächlich wird die andere Person anfangs keineswegs als niedrig betrachtet, sondern als stark und jederzeit in der Lage, Schaden anzurichten.

Wenn man so will, kommen die beiden Emotionen Verachtung und Zorn auf dasselbe hinaus, doch mit einer ganz unterschiedlichen Dynamik. Weitere negative menschliche Eigenschaften sind der Neid und sein enger Verwandter, die Eifersucht. Sie gleichen dem Zorn darin, dass sie ablehnende Emotionen darstellen, die sich auf eine oder mehrere Personen beziehen. Der Neid ist eine schmerzvolle Emotion, die dem Glück oder den Vorteilen anderer gilt und aus dem Vergleich der eigenen nachteiligen Lage mit derjenigen der anderen entsteht.

Der Neider empfindet Groll gegen seinen Rivalen

Der Neid umfasst einen Rivalen und ein Gut oder mehrere Güter, die als wichtig eingeschätzt werden; den Neider quält es, dass der Rivale all diese guten Dinge besitzt und er nicht. Wie beim Zorn werden die guten Dinge nicht in irgendeiner abstrakten oder unbeteiligten Form als wichtig erachtet, sondern sie müssen für die betreffende Person selbst und für ihr Kernempfinden des Wohlergehens von großer Bedeutung sein. Auch wenn der Neid im Unterschied zum Zorn nicht die Vorstellung einer Unrechtstat umfasst, so schließt er doch im Regelfall eine gewisse Form von Unmut gegenüber dem glücklichen Rivalen ein.

Der Neider will, was der Rivale hat, und empfindet infolgedessen Groll gegen ihn. Martha Nussbaum fügt hinzu: „Wenn die Vorteile als unlautere Gewinne gelten, nähern Neid und Zorn sich stark einander an, und der Neid könnte ähnliche Vergeltungsgedanken wie der Zorn aufkommen lassen, die ebenso wenig hilfreich wären.“ Denn bei ihm verhält es sich genau wie beim Zorn: Nur da, wo sein Fokus ausschließlich auf der relativen Position oder Stellung liegt und nicht mehr auf greifbaren Vorteilen, kann Vergeltung die Situation des Neiders tatsächlich verbessern. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum

Von Hans Klumbies