Die alten Chinesen waren laut Albert Kitzler ebenso tiefe Denker wie die Griechen und Inder. Bedingt durch ihr Schriftzeichensystem philosophierten sie allerdings mehr mithilfe von Bildern als in fest definierten Begriffen. Ein Beispiel dafür gibt folgendes Zitat des bedeutenden Philosophen Xunzi, das sich mit den Irrtümern beim Maßhalten beschäftigt: „Darum muss der Mensch bei allem, was er tut, immer und überall zu wägen wissen, als trüge er eine Waage bei sich.“ Ist die Waage des wägenden Verstandes allerdings ungenau, so mag sich sehr wohl hinter dem wünschenswert Erscheinenden Unheil verbergen und doch für ein Glück gehalten werden. Und ebenso mag sich hinter verabscheuungswürdig Erscheinenden Glück verbergen, indes man Unheil darin wittert. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.
Die richtige Mitte ist in allem das beste
So täuscht sich der Mensch im Hinblick auf Glück und Unheil. Weisheit als Maßhalten bedeutet demnach, die Waage des wägenden Verstandes zu justieren und immer wieder zu überprüfen. Denn nur so lässt sich ermessen, was einem auf Dauer guttut oder was eher Schaden und Leid mit sich bringt. Jedes Entscheiden ist ein Abwägen, und alles hängt ab von den persönlichen Werten, Haltungen und Einstellungen. Aus sie kommt es an. Die Aufforderung, in allem Maß und Mitte zu wahren, ist in den Weisheitslehren aller antiken Kulturen fest verankert.
Albert Kitzler stellt fest: „Aber bei keinem Volk wurde dieser Grundsatz so bestimmend und zentral wie bei den Griechen. Die Wahrheit dieser Erkenntnis gilt ungebrochen bis heute.“ Hesiod (um 700 v. Chr.) sagt zum Beispiel: „Wahre die richtige Mitte, solch Maß ist in allem das beste.“ Dass die Mitte das richtige Maß bezeichnet, findet man 300 Jahre später an zentraler Stelle in der Aristotelischen Ethik wieder. Aristoteles sah das richtige, tugendhafte Verhalten darin, dass die Mitte zwischen den Extremen des Zuviel und Zuwenig getroffen wird.
Bei jedem Menschen liegt die Mitte woanders
Aristoteles wusste auch, dass in Fragen der praktischen Lebensführung die richtige Mitte von der jeweiligen Person abhängt. Deshalb sagte er, die Mitte läge bei jedem woanders. Konfuzius meint: „Wer das rechte Maß herzustellen weiß in der Fülle und Leere, der ist nicht voll von sich selbst, darum vermag er Dauerndes zu leisten.“ Wer dem „rechten Weg“ (Dao) folgt, vermindert seiner Meinung nach seine Selbstsucht und wird insofern „leer“, als er seine egoistischen, rein selbstbezogenen Wünsche, Ziele und Zwecke aufgibt.
Wo ein Mensch leer wird und sein Ego verschwindet, entsteht laut Konfuzius „Fülle“, indem er für Wertvolles, das seinem Wesen gemäß ist, wach und offen wird in sich herein und wachsen lässt. Aber auch die Vollendung unterliegt dem Wandel, sodass man nur in dem angemessenen Wechsel von Fülle und Leere sein Wesen (Dao) finden und Wertvolles und Dauerndes schaffen kann. Das ist der Weg von Kosmos und Natur – und auch der des Menschen. Quelle: „Weisheit to go“ von Albert Kitzler
Von Hans Klumbies