Zu den Erscheinungsformen des Phänomens Liebe gehört zum Beispiel auch die Freundschaft, genauer gesagt, die Freundesliebe In der Nikomachischen Ethik des Aristoteles heißt es: „Freundschaft braucht Zeit“. Sie entzündet sich laut Josef Pieper normalerweise auch nicht einfachhin am Anblick des anderen, sondern an der Überraschung, dass das jemand existiert, der die Dinge genauso sieht wie man selbst und von dem man dann beglückt sagt: „Gut, dass du da bist!“ Freunde reden, sehr im Unterschied zu den erotisch Liebenden, kaum einmal von ihrer Freundschaft. Ihr Blick ist auf die Dinge gerichtet, für die sie sich gemeinsam interessieren. Deswegen, so ist gesagt worden, finden Leute, die einfachhin sich einen Freund wünschen, mit ziemlicher Sicherheit keinen. Josef Pieper war ein deutscher Philosoph, der von 1904 bis 1997 lebte.
Die Mutter ist die am intensivsten Liebende
Josef Pieper erklärt: „Obwohl es in der Freundschaft eigentliche Intimität nicht gibt, ist dennoch der Freund vielleicht der einzige Mensch, vor dem man völlig aufrichtig redet und ohne Scheu laut denkt.“ Auch von der Mutter heißt es seit jeher, sie trachte, als die am intensivsten Liebende, weniger danach, geliebt zu werden als zu lieben. Die Liebe zu ihren Kindern ist auf einzigartige Weise unbedingt, das heißt, an keine Vorbedingungen geknüpft. Und damit entspricht sie dem tiefsten Verlangen nicht nur des Kindes, sondern jedes menschlichen Wesens.
Mütterliche Liebe muss das Kind nicht erst verdienen; und es gibt nichts, wodurch man sie verlieren könnte. Der Vater hingegen stellt schon eher Bedingungen; seine Liebe will verdient sein – worin gleichfalls ein im Grunde aller Liebe eigentümliches Element sich zeigt, nämlich der Wunsch, der Geliebte möge sich nicht nur einfachhin wohlfühlen, sondern es möchte in Wahrheit gut bestellt um ihn sein. Josef Pieper ergänzt: „Die Liebe eines reifen Menschen müsste, wie man zu Recht bemerkt hat, beides in sich haben, das mütterliche Element wie auch das väterliche, etwas Bedingungsloses also und etwas Forderndes.“
Die Menschen hungern nach Glückseligkeit
Alle Formen der Liebe und der Freundschaft haben eines gemein: „Dass nämlich der Liebende, zu dem Geliebten gewendet, sagt: Gut, dass du da bist; wunderbar, dass es dich gibt!“ Wenn wirklich Glück niemals etwas anderes ist als Liebesglück, dann muss die Frucht der höchsten Gestalt der Liebe auch jenes Äußerste an Glück sein, wofür die Menschensprache den Namen Glückseligkeit bereithält und bewahrt. Glückseligkeit meint hier die objektive Stillung des Willens durch das bonum universale, wonach das ganze Wesen hungert und wonach der Mensch in einer selbstlosen Selbstliebe zu verlangen fähig ist.
Und in der Welt, so wird gesagt, können die Menschen nur das lieben, was mit ihnen die Glückseligkeit zu teilen fähig ist. Was solle es denn konkret besagen, den anderen als den möglichen Gefährten künftiger Glückseligkeit zu lieben? Was eigentlich könnte sich dadurch ändern? Josef Pieper antwortet: „Ich glaube, es würde sich in der Tat sehr viel ändern, wenn ich es zustände brächte, einen anderen Menschen wirklich als einen, ebenso wie ich selbst, zur Vollendung in der Glückseligkeit berufenen, als meinen socius in participatione beatitudinis zu betrachten; der andere träte damit, für mein Bewusstsein, einfach in eine neue Dimension der Realität.“ Quelle: „Über die Liebe“ von Josef Pieper
Von Hans Klumbies