Isolde Charim stellt fest: „Natürlich haben alle politischen Subjekte Gefühle – und diese nicht nur als Verirrung. Und natürlich haben Emotionen eine politische Relevanz. Emotionen sind nicht nur pathologische Störungen. Sie sind auch der zentrale Rohstoff des Politischen.“ Zu diesem Rohstoff gehört allerdings das gesamte Paket der Emotionen dazu. Es lassen sich nicht die „guten“ Emotionen herauspicken. Es geht sogar noch weiter: Im Politischen gibt es – anders als im Privaten – keine Gefühle, die per se gut oder per se schlecht wären. Emotionen haben daher keine fixe politische Bedeutung. Es gibt keine progressiven und keine reaktionären Gefühle. Es gibt ebenso wenig genuin demokratische wie genuin totalitäre Gefühle. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.
Die Demokratie hat massiv mit Gefühlen zu tun
Auch wenn man immer wieder versucht, solche auszumachen, und einzelne Gefühle herauspickt und als demokratisch etikettiert. Vertrauen etwa. Oder Mitgefühl. Es ist aber nicht so, dass etwa Liebe und Mitgefühl demokratischere Gefühle wären als Wut oder Zorn. So kann etwa Wut gegen Ungerechtigkeit etwas Gutes sein, während rohe Wut gegen Ausländer eine negative Leidenschaft ist. Weder ist ausgemacht, dass manche Gefühle nur positiv sind, also aktivierend, einbindend, engagierend wirken, noch sind manche eindeutig und immer negativ, also aufhetzend oder das Gegenteil davon, nämlich passivierend.
Emotionen haben von sich aus keine politische Substanz. Sie sind also im Politischen nicht von vornherein konnotiert. Sie können in jede Richtung wirken. Insofern sind Gefühle sowohl Ressource als auch Gefahr – in jedem Fall sind sie aber eine Grundtatsache des politischen Lebens. Gerade auch in der Demokratie, die massiv mit Gefühlen zu tun hat – und zwar nicht nur dort, wo die Demokratie nicht funktioniert, sondern auch dort, wo sie sehr wohl funktioniert.
Volks- und Massenparteien sollen die Gefühle kanalisieren
Isolde Charim erläutert: „Deshalb haben sich in der Demokratie ja auch von Anfang an politische Großprojekte zur Kanalisierung der Gefühle entwickelt.“ Das war etwa die Aufgabe der Volks- und Massenparteien. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat dafür einen wunderbaren Begriff geprägt: die „Zornbank“. Damit hat er nicht nur eine politische Emotion – den Zorn – als zentrale Ressource, als Kraft zur Veränderung der Gesellschaft erkannt. Er hat zugleich den Versuch beschrieben, diese Ressource produktiv zu machen.
Zornbank – das ist eine sprechende Bezeichnung. Für Peter Sloterdijk sind das die linken Massenparteien gewesen. Diese sind Zornbanken, weil die Menschen ihre Emotionen, ihren Zorn dort deponiert haben, weil diese „Banken“ versprochen haben, ihre Einlagen nicht nur zu verwalten, sondern damit auch zu handeln und sie zu vermehren. Diese Zornbanken hätten aber, so Peter Sloterdijk, die ihnen anvertrauten Depots verraten und verspielt. Quelle: „Ich und die Anderen“ von Isolde Charim
Von Hans Klumbies