Die Affekte der Freude sind wie Sprungbretter

Für den französischen Philosophen Gilles Deleuze sind die Affekte der Freude wie Sprungbretter, die einen Menschen mit Schwung über etwas hinwegtragen. Diese Hürde hätte er nie überwunden, wenn er nur traurig gewesen wäre. Es gibt sogar Leute, die werden besser in Latein, wenn sie verliebt sind. Womit hängt das zusammen? Wie macht man Fortschritte? Fortschritte verlaufen nie linear. Gilles Deleuze schreibt: „Eine kleine Freude katapultiert uns in eine Welt konkreter Ideen, die die traurigen Affekte weggefegt hat oder weiter bekämpft.“ Für Isabella Guanzini entsteht aus der Freude eine immer stärkere Intensität des Lebens, die ein immer dichteres Netz gesellschaftlicher Wirkungen entfaltet. Diese bringen Ideen in Fluss und können Ereignisse im vielfältigen Gewebe des Zusammenlebens anstoßen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

Die Liebe schenkt den Menschen Leben

Die Liebe ist beispielsweise der Weg, um aus sich selbst herauszugehen. Damit beginnt man auch, die Welt besser zu verstehen. Dies gleicht einem Impuls zu einer tieferen Bindung mit der Wirklichkeit. Liebe ist weniger eine Leidenschaft als vielmehr ein Affekt, wie Baruch de Spinoza sagt. Sie ist keine Erfahrung, die man erleidet, sondern ein Akt der Erkenntnis. Sie ist eine Art, die Welt wahrzunehmen und zu sehen, die zum reinen Ausdruck der Freude über die Gegenwart eines anderen wird.

Baruch de Spinoza schreibt: „Liebe ist Freude unter Begleitung der Idee einer äußeren Ursache.“ Das bedeutet, dass die Liebe den Menschen Leben schenkt, sie aktiver macht und sensibler für die Welt sowie für die Gegenwart eines anderen. Narzisstische Verliebtheit achtet nicht sonderlich auf die äußere Ursache, sondern benutzt sie lediglich als Projektionsfläche der eigenen Phantastereien. In der Liebe hingegen ist der andere tatsächlich außerhalb der eigenen Person.

Verliebte verstehen die Unzulänglichkeiten des anderen

Der andere ist dann weder das Phantasma des idealisierten Ich noch die andere Seite einer symbiotischen Einheit. Sondern er ist eine Welt für sich, welche die eigenen Affekte mobilisiert und große Freude schenken kann. Die Distanz und den Unterschied, die das Selbst vom anderen trennt, gilt es anzuerkennen. Denn das ist ein Zeichen für die Realität und Wahrheit der Liebe, in der man die Unzulänglichkeiten des anderen versteht, ohne verleitet zu sein, diese zu verletzen oder auszulöschen.

Isabella Guanzini stellt fest: „Es entsteht eine erzeugende Dynamik, die den Begegnungen zwischen Subjekten und ihrem Austausch eine physische Dimension verleiht.“ Das gegenseitige Berühren, Weichwerden, Zärtlichkeit empfinden, ist eine gegenseitige Sinngebung, bei der jeder seine Spur auf dem Körper und der Seele des anderen hinterlässt. Gerade dieses soziale Empfindungsvermögen, diese Osmose von Gefühlen hilft den Menschen, eine gemeinsame Welt zu erschaffen. Quelle: „Zärtlichkeit“ von Isabella Guanzini

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar