Immanuel Kant postuliert den freien Willen

„Was kann ich wissen?“ Es ist der preußische Philosoph Immanuel Kant, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein seinem überaus einflussreichen und revolutionären Werk eine Lösung für diese Frage sucht. Er durchdenkt das Verhältnis zwischen Innen und Außen – Selbstbewusstsein und Äußerlichkeit – auf eine neuartige Weise. Diese sollte sich für die moderne Philosophie als prägend erweisen. Ger Groot erläutert: „Auch Kant, der stark unter dem Einfluss des Werks von Newton und der modernen Naturwissenschaften seiner Zeit steht, geht von einer materiellen Wirklichkeit aus. Von der mechanischen, den Gesetzen der Kausalität unterliegenden Wirklichkeit, von der La Mettrie und die Materialisten des 18. Jahrhunderts ausgingen. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Immanuel Kant untersucht das Phänomen „Mensch“

Aber anders, als es die materialistische Tradition intendiert, sieht Immanuel Kant im Prinzip der Kausalität keinen Grund, die menschliche Freiheit zu leugnen. Er gesteht allerdings ein, dass das universelle Gesetz der Kausalität einerseits und das Gesetz der Freiheit – das heißt der Moral – andererseits in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Naturwissenschaftlich denkend muss Immanuel Kant sagen: „Alle Begebenheiten sind mechanisch-kausal verursacht.“ Aber aufgrund seiner Selbsterfahrung kann er auch das Gegenteil behaupten: „Nicht alle Begebenheiten sind mechanisch-kausal verursacht“. Zum Beispiel nicht diese Handlungen, die ein Mensch aus freiem Willen ausführt.

Diesen Widerspruch löst Immanuel Kant nicht auf, indem er Letzteres aus Ersterem herleitet. Sondern im Ausgang von beiden Annahmen das Phänomen „Mensch“ untersucht. Hierbei geht er der Frage nach, wie es möglich ist, dass sie beide – trotz ihrer Widersprüchlichkeit – wahr sein können. Seine Antwort wird lauten: Diese „Antinomie der Vernunft“ stellt keinen echten Widerspruch dar. Denn die Annahmen beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf die Erkenntnis und Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Philosophie ist im Grunde genommen Anthropologie

Dasselbe gilt für andere „Antinomien“. Das sind Behauptungen, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Wie etwa „der Kosmos ist endlich“ gegenüber „der Kosmos ist unendlich“. Um dies näher zu erklären ist Immanuel Kant noch mehr als frühere Denker gezwungen, sich die Frage zu stellen, was für ein Wesen der Mensch – in dem sich dieses Paradox schließlich auftut – eigentlich ist. In der Philosophie, so schreibt er in seiner Einleitung zu seiner „Logik“ aus dem Jahr 1800, geht es um das Beantworten dreier Fragen: 1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich tun? 3) Was darf ich hoffen?

Ger Groot erklärt: „Die erste Frage wird von der Metaphysik beantwortet, die zweite von der Ethik, die dritte von der Religion.“ Und diese drei Fragen schreibt Immanuel Kant dann, sind auf eine Frage zurückzuführen: 4) Was ist der Mensch? Philosophie ist also im Grunde genommen Anthropologie. Auch der englische Philosoph David Hume, der Immanuel Kant stark beeinflusst hat, implizierte in seinem „Treatise of Human Nature“ von 1739/1740 bereits etwas Ähnliches. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies