Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sucht in seinem neuen Buch „Identität“ nach den Gründen, warum sich immer mehr Menschen antidemokratischen Strömungen zuwenden und den Liberalismus ablehnen. Er zeigt, warum die Politik der Gegenwart von Nationalismus und Wut geprägt ist, welche Rolle linke und rechte Parteien bei dieser Entwicklung spielen, und was die Menschen tun können, um ihre gesellschaftliche Identität und damit die liberale Demokratie wieder zu beleben. Die Identitätspolitik ist kein nebensächliches Phänomen mehr, vielmehr ist sie zu einem Leitmotiv geworden, mit dem sich die meisten Vorgänge der globalen Politik erklären lassen. Wirtschaftliche Nöte sind Gefühlen von Ausgrenzung und dem Verlust der Identität gewichen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.
Die USA wird zunehmend von mächtigen Interessengruppen vereinnahmt
Paradoxerweise fühlen sich gerade die dominierenden Volksgruppen ungerecht behandelt und benachteiligt. Das ist die Basis für eine rechte Identitätspolitik, die in die Zeit von Rassismus und Nationalismus zurückführt. Dabei kann Identität nicht nur zur Spaltung, sondern auch zur Einigung benutzt werden. Nur wer dies versteht, kann möglicherweise den Untergang der Demokratie stoppen. Francis Fukuyama erklärt: „Dieses Buch wäre nicht geschrieben worden, hätte man Donald J. Trump nicht im November 2016 zum amerikanischen Präsidenten gewählt.“
Lange vor Trumps Wahl hatte Francis Fukuyama geschrieben, dass die Institutionen der Vereinigten Staaten verfallen, weil der Staat zunehmen von mächtigen Interessengruppen vereinnahmt und in eine starre Struktur gezwungen wird, die sich nicht reformieren kann. Trump selbst war sowohl das Produkt dieses Verfalls als auch einer seiner Urheber. Die Verheißung seiner Kandidatur bestand darin, dass er als Außenseiter seinen Wählerauftrag nutzen wollte, um das System aufzurütteln und es wieder funktionsfähig zu machen.
Identität liegt vielen politischen Phänomenen zugrunde
Nationalismus und Islamismus – das heißt der politische Islam – können als zwei Seiten derselben Medaille betrachtet werden. Beide gegen ihrer verborgenen oder unterdrückten Gruppenidentität Ausdruck, die nach öffentlicher Anerkennung strebt. Und beide treten unter ähnlichen Umständen hervor, nämlich wenn wirtschaftliche Modernisierung und rascher sozialer Wandel ältere Formen der Gemeinschaft untergraben und sie durch eine verwirrende Vielfalt anderer Zusammenschlüsse ersetzen.
Identität ist das große Thema, das vielen politischen Phänomenen zugrunde liegt: den neuen populistischen und nationalistischen Bewegungen, dem islamistischen Fanatismus und den Auseinandersetzungen, die sich an Universitäten abspielen. Francis Fukuyama schreibt: „Wir werden nie aufhören, Identitätsmaßstäbe an uns selbst und unsere Gesellschaften anzulegen. Dennoch müssen wir im Gedächtnis behalten, dass die Identitäten tief in unserem Innern weder fixiert sind noch uns zwangsläufig durch den Zufall der Geburt beschert werden.“ Wenn die Identität zur Einigung benutzt wird, kann sie das Heilmittel für die populistische Politik der Gegenwart sein.
Identität
Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet
Francis Fukuyama
Verlag: Hoffmann und Campe
Gebundene Ausgabe: 236 Seiten, Auflage 3: 2019
ISBN: 978-3-455-00528-8, 22,00 Euro
Von Hans Klumbies