Eine Gesellschaft in Angst nützt vor allem den Populisten

Auf die Frage, was kollektive Angst ist, antwortet der Risikoforscher Ortwin Renn wie folgt: „Kollektive Ängste sind Ängste vor Dingen, die nicht mich direkt als Person betreffen und die ich auch nicht allein überwinden kann. Bei der Höhenangst ist die Höhe direkt vor mir, und ich kann sie vermeiden. Bei kollektiven Ängsten ist das nicht möglich.“ Aktuelle kollektive Ängste in Deutschland sind die vor Flüchtlingen und Terror. Für Ortwin Renn ist das Unkonkrete das Wesen der Angst. Und Angst ist ein Zustand, den ein Körper auf Dauer nicht ertragen kann. Deshalb sucht er nach Entspannung. Ängste speisen sich aus dem Unbekannten, daher suchen sie einen Gegner. Der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn ist seit dem 1. Februar 2016 wissenschaftlicher Direktor des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS).

Das erste Versprechen des Staates an seine Bürger ist Sicherheit

Je weniger konkret die Bedrohung ist, desto größer ist die Angst. Ortwin Renn fügt hinzu: „Angst hat eine viel stärkere Pauschalisierungskraft als beispielsweise Wut. Sie kennt nur schwarz und weiß. Graustufen lösen Angst nicht auf.“ Die Angst hat in früheren Zeiten viel zur Bildung von Staaten beigetragen. Man bildete eine Gemeinschaft, ein Wir, das vor Gefahren schützt. Insofern ist das erste Versprechen des Staates an seine Bürger Sicherheit, das Grundgefühl: Man kann über die Straße gehen, ohne befürchten zu müssen, überfallen zu werden.

Eine Regierung, die keine Sicherheit gewährleistet, wird abgewählt. Das gefährdet aber nicht automatisch den ganzen Staat. Angela Merkel zum Beispiel muss versuchen, keine Angst aufkommen zu lassen. Das ist aber gar nicht so leicht. Politiker, die an der Macht sind, sind kommunikativ in einer schwierigen Lage. Ortwin Renn erklärt: „Die Bundeskanzlerin kann schwerlich sagen: Die Lage ist unsicher, ich habe auch Angst – denn sie muss den Bürgern Sicherheit versprechen. Sie kann aber auch nicht sagen: Es wird nichts passieren.“

Angst ist nicht grundsätzlich negativ

In der Therapie von klassischen Phobien geht man oftmals wie folgt vor. Man sagt zum Beispiel einem Menschen mit Flugangst: Pass auf, von einer Milliarde Flugzeugen stürzt nur eines ab. Das kann Linderung bringen. Ortwin Renn rät allerdings dazu, den Menschen nicht immer zu sagen, dass sie keine Angst haben sollen. Man kann Angst nicht verbieten, und man sollte Ängstliche nicht anlügen. Sie merken das meist. Angst ist auch nicht grundsätzlich negativ. Menschen, die überhaupt keine Angst haben, leben nicht lange.

Die Angst hilft den Populisten, weil sie schwarz-weiße Antworten haben. Sie benennen ganz klar den angeblichen Gegner, pauschalisieren ihn und werten ihn ab. Ortwin Renn erläutert: „Die Ängstlichen sind wichtig für Populisten, die an die Macht wollen, weil Angst ja eine Veränderung des Zustands verlangt, zumeist allerdings eine rückwärtsgewandte Veränderung. Das ist das verführerische Versprechen der Alternative für Deutschland (AfD): Unter uns wird alles wie früher. Unter uns bist du wieder sicher. Dabei wird die Vergangenheit nostalgisch verklärt.“ Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies