Die Philosophie tröstete Boethius kurz vor seinem Tod

Das Buch „Der Trost der Philosophie“, das der zum Tode verurteilte Boethius im Kerker schrieb, wurde zu einem der meistgelesen Bücher des Mittelalters, obwohl es im Gegensatz zu fast allen mittelalterlichen Erfolgsbüchern nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Was steht in dem Buch? Rolf Dobelli weiß es: „Der verängstige, verzweifelte auf sein Todesurteil wartende Boethius sitzt im Kerker. Plötzlich schwebt eine etwas ältere, aparte Frauengestalt hinein, die „Philosophie“. Sie erklärt ihm die Welt und gibt ihm einige mentale Werkzeuge in die Hand, um mit seiner neuen, ausweglosen Situation zurechtzukommen.“ Rolf Dobelli fast die Empfehlungen der „Philosophie“, die natürlich Boethius` Empfehlungen sind, zusammen. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Es gibt so etwas wie ein Schicksal

Erstens sollte man akzeptieren, dass es so etwas wie Schicksal gibt. Zu Boethius` Zeit wurde es gerne in der Figur der „Fortuna“ personifiziert. Diese Dame dreht ständig am Glücksrad, durch dessen Schwung das Tiefste und das Höchste immer wieder die Plätze tauschen. Wer mitspielen und aufsteigen will, muss akzeptieren, dass er später wieder hinabzusteigen hat. Man sollte sich also nicht zu viel aus dem Umstand machen, dass man sich gerade im Auf- oder Abstieg befindet. Es kann sich alles wieder drehen.

Zweitens sollte man immer bedenken, dass das, was man besitzt, schätzt und liebt, vergänglich ist – die Gesundheit, der Lebenspartner, die Kinder, das Haus, das Vermögen, die Heimat, der Ruf, der Status. Rolf Dobelli schreibt: „Streben Sie nicht verbissen nach diesen Dingen. Bleiben Sie locker, und freuen Sie sich, wenn das Schicksal sie Ihnen gewährt. Aber seien Sie sich jederzeit bewusst, dass diese Dinge flüchtig, zerbrechlich und vorläufig sind. Am besten, Sie nehmen die Haltung ein, dass Ihnen alles nur ausgeliehen wurde und jederzeit wieder weggenommen werden kann. Spätestens beim Tod.“

Die Stoa liefert praktische Antworten auf alltägliche Lebensfragen

Drittens gilt: Wenn man wie Boethius, vieles oder alles verloren hat, sollte man daran denken, dass im eigenen Leben das Positive dennoch überwogen hat und dass alles Süße stets mit Bitternis durchsetzt ist. Jammern ist nicht angebracht. Viertens sollte man sich klar darüber sein, dass das einzige, was einem nicht genommen werden kann, die Gedanken sind. Dabei handelt es sich auch um die Art und Weise, wie man Verluste, Unglück und Rückschläge interpretiert. Man kann dies auch als „mentale Festung“ bezeichnen – jenes Stück Freiheit, das niemals gestürmt werden kann.

Diese Empfehlungen entsprechen den Grundsätzen der Stoa, einer alten, höchst praktischen Lebensphilosophie, die im 4. Jahrhundert v. Chr., also ein Jahrtausend vor Boethius, in Athen ihren Ursprung hatte und in den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr. in Rom ein Revival erlebte. Große Namen der Stoa sind Seneca, Epiktet und Mark Aurel. Erstaunlicherweise ist die Stoa bis heute der einzige Ast der Philosophie, der praktische Antworten auf alltägliche Lebensfragen liefert. Die anderen Äste und Zweige sind zwar intellektuell spannend, bieten aber kaum Hilfe zur Bewältigung des Lebens. Quelle: „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar