Die Krisen an Europas Grenzen häufen sich besorgniserregend

Beobachter aus dem Westen hat das Kriegsgebahren Wladimir Putins in der Ukraine ziemlich verwirrt. Ob es nun hybrid genannt wird, mehrdeutig oder getarnt, spielt dabei keine Rolle. Jean-Marie Guéhenno, Präsident der International Crisis Group, erklärt: „Unerklärte Konflikte sind ein wichtiger Bestandteil heutiger Kriege. Diese Konflikte fordern Europa heraus. Wie verteidigt man sich politisch und rechtlich gegen verdeckte Aggression?“ Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges ist Europa plötzlich mit einer ganzen Reihe neuer Bedrohungen konfrontiert. Die Destabilisierung durch Russland an der Ostgrenze ist nur eine davon, wenn auch eine spektakuläre. Höchste Bedeutung geben Sicherheitsexperten der Bedrohung durch Cyber-Angriffe, weil auch hier viele neue Probleme des internationalen Rechts, in den Freiheitsrechten der Bürger und im technologischen Wettlauf um Sicherheit und Vorherrschaft aufgeworfen werden.

Die Europäische Union reagiert auf Bedrohungen nicht geschlossen

Jean-Marie Guéhenno betont: „Jeder bedeutende Krieg würde heute wahrscheinlich mit einem Netzangriff beginnen.“ Der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt erklärte vor wenigen Tagen in Davos, dass man es bei Cyber-Attacken mit einer Form der Kriegsführung zu tun habe, bei der die Verteidigung erheblich mehr koste als der Angriff. In neuer Qualität kennt der Westen seit dem 11. September 2001 auch terroristische Bedrohungen. Frankreich zum Beispiel machte schon in den Achtzigerjahren Bekanntschaft mit Angriffen aus dem Nahen Osten.

Der islamistische Terror kennt keine Grenzen, seine Gruppierungen rekrutieren ihren Nachwuchs in Europa. Neu ist, dass die Bedrohungen für Europa auf instabilem Terrain östlich und südlich seiner Grenzen entstehen, wo die Strukturen des Staates entweder schwach oder ganz zerschlagen sind. Dort ist der Übergang zwischen Krieg und Frieden verschwommen. Sogenannte „eingefrorene Konflikte“ stehen als Synonym für Endloskriege. Obwohl die Europäische Union also mit einer ganzen Reihe von Bedrohungen konfrontiert ist, reagiert sie darauf nicht mit der notwendigen Geschlossenheit.

Vor allem in Asien und Russland steigen die Rüstungsausgaben

Der Vertrag von Lissabon belässt Fragen der Sicherheit in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Die EU-Staaten tun sich besonders schwer damit, ihre Souveränität in Fragen der Verteidigung und Sicherheit aufzugeben. Obwohl Kriege zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geradezu undenkbar geworden sind, findet sich unter den Mitgliedsstaaten nur eine geringe Bereitschaft, Bedrohungen von außerhalb gemeinsam entgegenzutreten. Dazu kommen schwere finanzielle Zwänge. Die meisten Staaten innerhalb der EU haben in Zeiten leerer Kassen ihre Verteidigungsbudgets gekürzt.

Es gibt inzwischen einen eindeutigen Trend: Europa gibt immer weniger für seine Sicherheit aus, während vor allem in Asien und Russland die Rüstungsausgaben steigen. Schon seit dem Jahr 2008 warnt die Nato in aller Offenheit vor sinkenden Verteidigungsausgaben. Nur fünf Mitgliedsstaaten schaffen es, wie vereinbart, mindestens 20 Prozent ihres Budgets für die Modernisierung auszugeben. Laut Nato führt das zu folgendem Ergebnis: „Es besteht eine immer größere Abhängigkeit von den USA und eine wachsende Asymmetrie unter den europäischen Verbündeten.“

Von Hans Klumbies