Deutschsein hat etwas mit Herkunft und Tradition zu tun

Deutschsein ist mehr als nur formelle Staatsbürgerschaft. Sogar Anhänger der Grünen sind offensichtlich mehrheitlich der Meinung, es gebe so etwas wie einen Nationalcharakter. Christian Schüle fügt hinzu: „Der Begriff Nationalcharakter hat als vermeintlich veraltetes Konzept keinesfalls ausgedient und wird mitnichten von der nachwachsenden Generation als überwunden erachtet.“ Drei Viertel der Deutschen finden, dass deutsche Kultur „Leitkultur“ für die in Deutschland lebenden Ausländer sein sollte; und gut die Hälfte der Deutschen meint, dass Deutschsein mit Herkunft und Tradition zu tun habe. Das heißt: Politik muss sich an der Wirklichkeit orientieren, und dazu gehört, dass mindestens eine relative Mehrheit der Bevölkerung ihre eigene Nationalität auch über eine in Jahrhunderten gewachsene Kulturtradition und eine gemeinsame Herkunft definiert. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Rund 60 Prozent der Deutschen sind stolz auf ihre Heimat

Das hat mit Chauvinismus nichts zu tun, sondern ist Ausdruck eines meist nicht tiefer reflektierten, aber umso tiefer im Unterbewusstsein verankerten Identitätsgefühls. Wer solche Vorstellungen pauschal als „völkisch“ diffamiert, verwässert damit nicht nur diesen Begriff, sondern er wird den Zuspruch der Menschen verlieren und sie nationalistischen Bewegungen in die Arme treiben. Denn rund 60 Prozent der Deutschen sind stolz auf ihr Heimatland.

Und 80 Prozent der deutschen Bevölkerung sind sich sicher, dass es ein Wesenszug der Deutschen ist, ihr Vaterland zu lieben. Der typische Deutsche ist pflichtbewusst und leistungsorientiert. Sogar 90 Prozent der Deutschen halten die Liebe zu Regeln und Ordnung für einen wichtigen nationalen Charakterzug. In der Liebe zur Heimat und der Pflege des Brauchtums erkennen rund 80 Prozent der Einheimischen das „Deutsche“ wieder. In den Augen von circa 60 Prozent steht nicht das Nationale im Vordergrund, sondern eine identitär im Heimatland verwurzelte Weltoffenheit.

Bei Höhergebildeten ist weniger Nationalstolz anzutreffen

Christian Schüle weiß: „Je älter und weiblicher, desto deutscher fühlt sich der Deutsche offenbar an sich. Am stärksten ausgeprägt ist das Nationalgefühl bei verwitweten oder getrennt lebenden Frauen über 70 Jahren, die in einem Ein-Personen-Haushalt im ländlichen Raum in Norddeutschland leben und einen Volksabschluss haben.“ Und grundsätzlich betrachtet, ist bei Höhergebildeten weniger Nationalstolz anzutreffen, denn mit dem Bildungsgrad wächst die Distanz zur Nation.

Die Deutschen, bescheidet der Mediävist Johannes Fried, seien kein gottgegebenes Volk, sondern ein politischer Verband, der aus vielen fremden Elementen und immer wieder auch aus Einwanderungsprozessen erwachsen ist. Ihre Anfänge liegen zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert, von einer einheitlichen Abstammung oder Kultur kann also keine Rede sein. Johannes Fried zufolge gingen die Deutschen in jener Zeit aus dem multikulturellen Vielvölkergemisch hervor, das damals im Westen zwischen Rhein, Donau und Oder siedelte. Quelle: „Heimat“ von Christian Schüle

Von Hans Klumbies