Der technische Fortschritt ist unumkehrbar

Es besteht für Richard David Precht kein Zweifel, dass der technische Fortschritt die einzige Weiterentwicklung in der Geschichte der Menschheit ist, die unumkehrbar ist. Doch dass man heute Daten in unvorstellbarer Menge erfassen und verarbeiten kann, hat nicht nur digitale Unternehmen zu Spitzendienstleistern gemacht und die Träume von Geheimdiensten in gesellschaftliche Alpträume verwandelt. Richard David Precht schreibt: „Es hat die Politik gelähmt und die Überforderung stillgestellt. Doch nicht nur die gefühlte Ohnmacht, auch eine Veränderung in der Orientierung hat das Ethos von Politik und Gesellschaft unterspült: Es ist der Siegeszug des Messens und der Quantifizierung von allem!“ Auch Politiker verlassen sich heute auf Zahlen, Statistiken und Meinungsumfragen. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Es fehlt an Eigensinn und politischer Kreativität

Das bessere Leben zeigt sich am Bruttoinlandsprodukt, der eigene Marktwert in Rankings der Zustimmung. Bezahlt wird dafür mit einem eklatanten Mangel an Eigensinn und politischer Kreativität. Seit Computer das mühselige Geschäft des Messens in Sekunden erledigen, unterspült die Quantifizierung von allem und jedem das Ethos der gesamten Gesellschaft. Nicht die Qualität zählt, sondern Quantität. Und da Quantität leicht zu bewerten ist, bleibt das mühselige Geschäft der Urteilsbildung, die jedem Qualitätsurteil unterliegt, zumeist aus.

Richard David Precht stellt fest: „Besonders betroffen davon ist die Welt der Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ökonomen und – schlimmer noch – Gesellschaftswissenschaftler habe dadurch ihren alten Kompass verloren.“ Ganze Universitätsdisziplinen erscheinen nahezu lahmgelegt unter der zentnerschweren Last empirischer Forschung. Wer als Pädagoge oder Soziologe Projekte finanziert haben will, muss messen und quantifizieren. „Die messbare Seite der Welt“, möchte man diesem seelenlosen Treiben mit dem Philosophen Martin Seel zurufen, „ist nicht die Welt.“

Es herrscht ein schleichender Niedergang der Gesellschaftswissenschaften

Die empirische Forschung ist das Handwerk einer Zulieferindustrie, die keinen gesellschaftlich relevanten Diskurs mehr formt. Richard David Precht übertreibt wohl nicht, wenn er sagt, dass mit dem Siegeszug der digitalen Datenverarbeitung der Niedergang der Gesellschaftswissenschaften begann. Denn je wissenschaftlich exakter sie zu werden trachteten, umso unwichtiger wurden sie für die Gesellschaft. Und je größer die Datenmenge, desto kleiner wurde die Aufmerksamkeit für sie.

Wer die Welt empirifiziert, statt sie zu deuten, schaufelt mit an dem Graben des Unvernehmens, der den schleichenden Niedergang von Politik und Gesellschaftswissenschaften zementiert. Richard David Precht erläutert: „Eine Politik, die ihre Bilder nicht aus dem Imaginationsschatz der akademischen Kultur gewinnt, ist blind; eine akademische Kultur, die nicht politisch relevant wird, bleibt leer.“ Darüber täuschen auch nicht die belanglosen Beratungsgremien, Räte und Kommissionen hinweg, welche die Politik heute kennt und die eher Eitelkeiten befriedigen als Politik gestalten. Quelle: „Jäger, Hirten, Kritiker“ von Richard David Precht

Von Hans Klumbies