In Krisen sind Menschen emotional verunsichert

Vielleicht basieren viele kleine und große Krisen auf völlig falschen Perspektiven. Christian Uhle fügt hinzu: „Vielleicht erkennen Menschen in solchen Situationen keine tiefere Wahrheit, sondern sind emotional verunsichert. Vielleicht ist das Leben durch und durch sinnvoll, nur manchmal sehen wir das nicht und verlieren unser Gefühl für den Sinn.“ Fakt ist, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit Empfindungen von Sinnlosigkeit umgehen müssen. Wie kann ein Mensch solche Erfahrungen besser verstehen? Ebenso wie die Liebe zu den eigenen Eltern ganz anders ist als die stürmische Verliebtheit am Anfang einer romantischen Beziehung, so hat auch das Gefühl der Sinnlosigkeit tausend Gesichter. Wie die Liebe lässt es sich nicht präzise beschreiben, sondern nur umkreisen. Das Anliegen des Philosophen Christian Uhle ist es, Philosophie in das persönliche Leben einzubinden.

Religionen verloren zunehmend an Deutungsmacht

Gleichzeitig haben die unterschiedlichen Formen der Liebe einen gemeinsamen Kern. Und so haben auch die Momente des Absurden, der existenziellen Entfremdung und Sinnkrise trotz aller Vielgestaltigkeit ihre Gemeinsamkeiten. Eine ist offensichtlich: In all diesen Momenten sieht man sich mit einer grundlegenden Frage konfrontiert. Nämlich der Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Sinnfrage beschäftigt Menschen nicht nur im persönlichen Alltag, auch in der Philosophie wurde intensiv mit ihr gerungen. Nicht immer mit einem sonnigen Ergebnis.

Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert beklagte man häufig die vermeintliche Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens. Wie kaum ein Satz steht dabei der Ausruf Friedrich Nietzsches „Gott ist todt!“ für eine gewaltige Entwicklung. Christian Uhle erläutert: „Religionen verloren zunehmend an Deutungsmacht über Wahrheit und Unwahrheit. Stück für Stück übernahmen die Naturwissenschaften das Feld. Das brachte sehr viel Gutes, doch der Fortschritt hatte auch seinen Preis.

Charles Darwin entriss dem Menschen die Krone der Schöpfung

Durch die neuen Weltbilder wurde das menschliche Ego zutiefst „gekränkt“, wie Sigmund Freud (1856 – 1939) es formulierte. Erst verbannten Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543) und Galileo Galilei (1564 – 1641) die Erde vom Mittelpunkt des Universums an einen unbedeutenden Nebenschauplatz. Dann entriss Charles Darwin (1809 – 1882) dem Menschen die Krone der Schöpfung und degradierte ihn zu einem evolutionären Zufallsprodukt. Weitere Kränkungen folgten, auch Sigmund Freud trug mit seiner Entdeckung des Unbewussten dazu bei und brachte eine fundamentale Sicherheit ins Wanken.

Das Ich war nicht mehr Herr im eigenen Haus. Die folgenden gesellschaftlichen Umwälzungen sorgten für weitere Verunsicherungen. Starre und einengende Rollenbilder, die gleichzeitig Halt gegeben hatten, begannen zu bröckeln. Und Wahrheit erschien plötzlich relativ. Christian Uhle erklärt: „Vor diesem Hintergrund einstürzender Gewissheiten entwickelten vor allem Existenzialisten ihre teils düster klingenden Gedanken über den Lebenssinn.“ Quelle: „Wozu das alles?“ von Christian Uhle

Von Hans Klumbies