Die Moderne umfasst drei Phasen

Generell lässt sich die Geschichte der Moderne in drei Phasen einteilen: die der bürgerlichen Moderne, der organisierten Moderne und der Spätmoderne. Andreas Reckwitz erläutert: „Die bürgerliche Moderne als erste Version der klassischen Moderne verdrängt in Europa und Nordamerika im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts allmählich die traditionelle Feudal- und Adelsgesellschaft.“ Die frühe Industrialisierung, die Aufklärungsphilosophie, und die Verwissenschaftlichung, die Entstehung von überregionalen Warenmärkten und kapitalistischen Produktionsstrukturen, die allmähliche Verrechtlichung und Demokratisierung, die Urbanisierung und die Ausbildung des Bürgertums als kulturell tonangebende Klasse mit Ansprüchen der Selbstdisziplin, der Moral und der Leistung lassen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eine soziale Logik des Allgmeinen entstehen. Überall setzten sich die technische, die kognitive und die normative Rationalisierung allmählich durch. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Die industrielle Moderne ersetzt die bürgerliche Moderne

Allerdings ist diese erste Version der Moderne noch verhältnismäßig exklusiv und die Schicht, die sie allein trägt – das Bürgertum –, noch relativ klein. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erhält die formale Rationalisierung einen qualitativen und quantitativen Schub. Die bürgerliche Moderne wird von der organisierten oder industriellen Moderne, und damit der zweiten Version der klassischen Moderne verdrängt. Es lohnt sich laut Andreas Reckwitz, genauer auf die Strukturmerkmale der industriellen Moderne einzugehen, da diese die Antipodin der spätmodernen Gesellschaft der Singularitäten markiert und zugleich das soziologische, aber auch gesellschaftspolitische Verständnis der Moderne bis heute prägt.

Das Impulszentrum dieser nachbürgerlichen Moderne sind die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion. In der Lesart von Andreas Reckwitz erweisen sich der kapitalistische Westen und der Staatssozialismus nicht als strukturelle Alternativen. Sondern es sind zwei Spielarten einer radikalisierten nationalistischen Moderne. Noch mehr: der Staatssozialismus mit seinem gesamtgesellschaftlichen Planungsimperativ und seiner dezidierten Entsingularisierung liefert im Grunde die reinere Form der industriellen Moderne und ihrer Logik des Allgmeinen.

Die industrielle Moderne etabliert die Massenproduktion

Andreas Reckwitz weiß: „Jedoch ist die westlich-kapitalistische Version, wie sie idealtypisch durch die Kultur des „Fordismus“ oder „Amerikanismus“ verkörpert wird, langfristig einflussreicher und vermag sich zudem in der Spätmoderne zu transformieren.“ Im Rahmen der industriellen Moderne bildet sich jener Typus kollektiver Ordnung, der für das Zeitalter der Rationalisierung generell typisch ist: die formale Organisation als Zweckverband. Im ökonomischen Feld setzen sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechend die Großkorporationen durch.

Ob in kapitalistischer oder sozialistischer Spielart: der ökonomische Idealtypus der organisierten Moderne ist der Industriebetrieb der standardisierten Massenproduktion. Die organisierte Moderne ist somit das, was die Soziologie „Industriegesellschaft“ nennt. Man kann daher auch grundsätzlich von der industriellen Moderne sprechen. Sie ist eine technische Kultur in einem starken Sinn. Diese steht nicht nur hinter der Etablierung der der Massenproduktion. Sondern sie prägt zugleich der gesamten Gesellschaft ihr ingenieurhaftes, mechanistisches Modell auf. Dem zufolge erscheint die soziale Welt als ein System optimal auf einander abgestimmter Einzelteile. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies