Die Ungleichheit in Deutschland hat zugenommen

Wie die Globalisierung spaltet auch die moderne Technologie den Arbeitsmarkt in Gewinner und Verlierer. Zu den Profiteuren zählt Alexander Hagelüken zum Beispiel Ingenieure, Ärzte und Manager, die oft deutlich mehr verdienen als in der Vergangenheit. Gleichzeitig gibt es andere, deren Gehalt stagniert oder sogar zurückgeht. Die moderne Technologie vernichtet vor allem Jobs, die von ungelernten Arbeitnehmern ausgeübt werden. Aber auch mittelqualifizierte, wie beispielsweise Fabrikarbeiter oder Sachbearbeiter in der Verwaltung. Alexander Hagelüken erklärt: „Ihre Tätigkeiten sind von einer gewissen Wiederholung gekennzeichnet, die sie durch Maschinen ersetzbar macht.“ Die Technologie und die Globalisierung ließen allein in Deutschland sein den 90er Jahren über 2,5 Millionen Arbeitsplätze verschwinden, vor allem typischerweise sozialversicherte Vollzeitstellen. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

Früher galt in Deutschland das Motto „Wohlstand für alle“

Neue Stellen entstehen häufig im Dienstleistungssektor, der heute die Mehrzahl der Arbeitsplätze stellt. Sie entstehen meist jenseits der Mitte. Genau diese Jobs sind oft keine sozialversicherten Vollzeitstellen. Sondern befristete Teilzeit- oder Minijobs, die unsicher und schlecht bezahlt sind. Dieser Wandel ist ein gewichtiger Grund für die Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft. Genau wie stagnierende Löhne in der Mitte, die zwischen Maschinen und globalen Billigkräften eingeklemmt sind.

Deutschland war einmal ein Land relativ gleicher Löhne, symbolisiert im Motto „Wohlstand für alle“ des Wirtschaftswunderkanzlers Ludwig Erhard. Diese Zeiten sind leider längst vorbei. Die Bezahlung entwickelte sich wie in kaum einem anderen Industriestaat auseinander, ablesbar an verfügbaren Einkommen, das nach Steuern, Abgaben und Inflation bleibt. Studien zeigen, wie sich die Wirtschaft aufteilt: Technologiefirmen beschäftigen vorzugsweise Akademiker, Discounter vorzugsweise An- und Ungelernte. Damit fehlt anders als früher der Wissenstransfer mit höherqualifizierten Kollegen.

Der politische Liberalismus drängt die Gewerkschaften beiseite

Die Spaltung des Arbeitsmarktes ist laut Alexander Hagelüken auch eine Machtfrage. Als Hauptgrund sehen die Bertelsmann-Stiftung und das Münchner Ifo-Institut den Machtverlust der Gewerkschaften. Ohne Tarifvertrag verdient ein Arbeitnehmer rund 20 Prozent weniger. Alexander Hagelüken fügt hinzu: „Was die Gewerkschaften beiseite drängt, ist der Siegeszug des politischen Liberalismus – die dritte große Ursache für die Ungleichheit neben Globalisierung und Technologie.“ Den Gewerkschaften fehlt zunehmend der politische Rückhalt, um Tarifverträge zu verteidigen.

Der Liberalismus liefert einen ideologischen Überbau für den permanenten Druck auf die Löhne. Wenn Löhne gesenkt werden, begründen Firmen dies oft mit internationaler Konkurrenz. Dabei drücken auch Supermärkte oder Friseure die Löhne, die die Globalisierung kaum betrifft. So beschäftigen beispielsweise Supermärkte mehr Kassierer ohne Tarifvertrag und zahlen rund 30 Prozent weniger. Die Dienstleister rechtfertigen so etwas mit dem Kunden, der es immer billiger wolle. In Wahrheit erhöhen niedrige Löhne eben auch den Gewinn eines Unternehmens. Quelle: „Das gespaltene Land“ von Alexander Hagelüken

Von Hans Klumbies