Vermeer stellt eine vollkommene Illusion der Realität dar

Zu den berühmtesten Bildern, die der großartige niederländische Maler Vermeer geschaffen hat, zählt das ebenso hinreißende wie rätselhafte „Mädchen mit dem Perlenohrring“ und den großen Augen. Einen ebenso hinreißenden und großartigen Bildband „Vermeer. Das vollständige Werk“ hat in diesem Jahr der Taschen Verlag veröffentlicht. Der Autor Karl Schütz, der Kunstgeschichte und Archäologie in Wien studiert hat, weist darauf hin, dass zu Lebzeiten Johannes Vermeers Ruhm kaum über seine Heimatstadt Delft und die nähere Umgebung hinausreichte. Nach seinem Tod im Dezember 1675 geriet sein Name sogar weitgehend in Vergessenheit. Der prachtvolle Bildband stellt einen Gesamtkatalog der Gemälde Vermeers dar, die in Museen und Galerien wie Reliquien verehrt und gehütet werden. Die Gemälde treten dem Leser im großzügigen XL-Format entgegen, wobei die Reproduktionen qualitativ überragend sind. Zahlreiche Details heben dabei die überragenden künstlerischen Fähigkeiten Vermeers hervor.

Vermeer malte die holländische Mona Lisa

Karl Schütz hat den hochwertigen Bildband in vier Kapitel gegliedert: „Delft und Vermeers Herkunft“, „Der junge Vermeer“, „Vermeers reife Jahre“ und „Die letzten zehn Jahre“. Es folgt ein Epilog über Vermeers Wiederentdeckung und späten Ruhm. Um das Jahr 1900 herum wurden beispielsweise US-amerikanische Sammler auf Vermeer aufmerksam und bezahlten für seine Bilder Rekordpreise. Im Jahr 1907 kaufte der Bankier John Pierpont Morgan sr. das Gemälde die „Briefschreiberin“ für 100.000 Dollar.

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist zwar ein verhältnismäßig kleines Bild (44,5 x 39 cm), war aber schon 1881 relativ berühmt, als es für 40.000 Gulden versteigert wurde. Als „holländische Mona Lisa“ erlangte das Gemälde schließlich Weltruhm und ist heute von unschätzbarem Wert. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist eine Kopfstudie, die in dünnen Lasuren im Inkarnatton über einer transparent modellierenden Untermalung ausgeführt wurde. Mit dieser Maltechnik erreichte Vermeer weich verlaufende Fleischtöne.

Vermeer trägt kleine Farbflecken auf die Leinwand auf

Johannes Vermeer beginnt sein künstlerisches Schaffen mit drei Bildern, die untereinander ganz verschieden sind. Jeder dieser Bilder befindet sich aber stilistisch auf der Höhe seiner Zeit. Das Schlüsselwerk unter diesen Bildern ist die „Kupplerin“, datiert 1656. Vermeer gestaltet hier zum ersten Mal ein Genrebild, wobei er wie in den meisten seiner späteren Bilder eine Szene aus dem zeitgenössischen Alltagsleben wiedergibt. Bei der „Kupplerin“ ist auch schon eine Ahnung der späteren Lichtmalerei Vermeers spürbar.

Was Johann Vermeer als Maler so einzigartig macht, ist seine persönliche Maltechnik, die von andern Malern seiner Zeit abweicht. Sein Ziel war die vollkommene Illusion der Realität. Karl Schütz erklärt: „Zur Erreichung dieser illusionistischen Wirkung bedient sich Vermeer eines besonderen malerischen Mittels, der als pastoser Auftrag kleiner Farbflecken erscheint und den Thoré-Bürger als pointillé bezeichnet.“ Außerdem stellt Vermeer Dinge und Räume so dar, wie sie dem Betrachter von einem bestimmten Standpunkt bei einer bestimmten Beleuchtungssituation erscheinen, nicht, wie sie wirklich sind.

Vermeer
Das vollständige Werk
Karl Schütz
Verlag: Taschen
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-8365-3640-0, 99,99 Euro

Von Hans Klumbies