Die Kulturen befinden sich in einem ständigen Wandel

Nach der landwirtschaftlichen Revolution werden die Gesellschaften der Menschen immer größer und komplexer. Zudem wurden die erfundenen Ordnungen, die diese Gesellschaften zusammenhielten immer raffinierter. Yuval Noah Harari ergänzt: „Mythen und Märchen programmierten die Menschen darauf, fast von Geburt an auf eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln, bestimmte Dinge zu wollen und bestimmte Regeln zu befolgen.“ Damit schufen die Gesellschaften „künstliche Instinkte“, mit deren Hilfe Millionen von Menschen effektiv zusammenarbeiten konnten. Dieses Netzt künstlicher Instinkte heißt heue Kultur. So bedeutete damals wie heute ein Ägypter zu sein, automatisch wie ein Ägypter zu gehen, zu stehen, zu sitzen, zu sprechen und zu denken. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Eine Kultur verändert sich auch durch ihre innere Dynamik

Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Annahme verbreitet, dass jede Kultur, für sich genommen, perfekt sei. Yuval Noah Harari erklärt: „Man meinte, jede Kultur habe ein in sich stimmiges Weltbild und ein System gesellschaftlicher, juristischer und politischer Regeln, die so reibungslos ineinandergreifen wie die Zahnräder eines riesigen Uhrwerks.“ Man ging davon aus, dass Kulturen ein unveränderliches Wesen besitzen und ohne Einfluss von außen bis in alle Ewigkeit nach demselben Muster funktionieren können.

Heute gehen die Wissenschaftler allgemein vom genauen Gegenteil aus. Jede Kultur hat zwar immer noch ihre eigenen Vorstellungen, Normen und Werte, doch die einzelnen Kulturen befinden sich in einem dauernden Umbruch. Yuval Noah Harari betont: „Die Veränderungen werden nicht nur durch Umwelteinflüsse oder die Begegnung mit Nachbarkulturen verursacht, sondern auch durch die innere Dynamik der Kultur selbst.“ Selbst eine isolierte Kultur in einer stabilen Umwelt kann gar nicht anders als sich dauernd zu verändern.

Die Werte Freiheit und Gleichheit stehen im Widerspruch zueinander

Anders als die Naturgesetzte, die in sich stimmig sind, ist nämlich jede Ordnung, die von Menschen geschaffen worden ist, voller Widersprüche. Yuval Noah Harari ergänzt: „Die Kulturen versuchen fortwährend, diese Widersprüche zu beseitigen, und dies führt zu immer neuen Veränderungen.“ Seit der Französischen Revolution begreifen die meisten Menschen im Westen zum Beispiel Freiheit und Gleichheit als grundlegende Werte. Doch diese beiden Werte stehen im Widerspruch zueinander. Gleichheit lässt sich beispielsweise nur erreichen, indem man die Freiheit der Bessergestellten beschneidet.

Auf der anderen Seite geht es auf Kosten der Gleichheit, wenn jeder Mensch eine unbegrenzte Freiheit genießen kann. Die gesamte politische Geschichte seit 1789 lässt sich für Yuval Noah Harari als der Versuch verstehen, diesen Widerspruch aufzulösen. Die liberalen europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts stellten die Freiheit in den Vordergrund. Die Gleichheit des Kommunismus brachte eine grausame Tyrannei hervor. Der Sozialstaat der Gegenwart versucht, einen Mittelweg zu beschreiten, weshalb er von allen Seiten kritisiert wird.

Von Hans Klumbies