Nicht selten verdunkelt sich der Raum der Öffentlichkeit

Heutzutage ist nicht nur eine Abkehr von der Wahrhaftigkeit, sondern auch von der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit überhaupt, zu beobachten. Juliane Rebentisch stellt fest: „Die Effekte dieser Abkehr, die mit einer offiziellen Geringschätzung der Welt und der Öffentlichkeit einhergehen, sind dramatisch.“ Denn durch diese Geringschätzung wird nicht nur die Frage, ob etwas wahr oder unwahr ist, ersetzt durch die nach den eigenen Interessen.“ Eine solche Umstellung wird vielmehr die Gemeinsamkeit der Welt, in der allein ihr Bestand gewahrt werden kann, zerfallen lassen. Hannah Arendt schreibt: „In der Geschichte sind Zeiten, in denen der Raum der Öffentlichkeit verdunkelt und der Bestand der Welt fragwürdig wird, nicht selten.“ Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

Ein Sieg im Streit der Meinungen ist niemals gegeben

So finster sich eine Zeit jedoch ausnehmen mag, die Finsternis wird, solange es Menschen im Plural gibt, nie total sein können. Ein entwickeltes Bewusstsein mag auch und gerade die Wirklichkeit anderer Perspektiven ignorieren. Ähnlich aber dem Kind, dass die Hände vor die Augen nimmt und fragt: „Siehst du mich noch?“, kann es diese Perspektiven durch Ignoranz und wohl auch durch Gewalt niemals ganz ausschalten. Im Gegenteil: Was sich den anderen darbietet, ist die in gewisser Hinsicht lachhafte Arroganz einer Haltung, die so agiert, als ob der Sieg im Streit der Meinungen bereits gegeben sei.

Heute besteht der Eindruck, dass sich die Entwicklung der Welt durch einen Machthaber unter aller Augen vollzieht. Die mit einer solchen Entwicklung einhergehende Arroganz der Öffentlichkeit und die von ihr hervorgebrachte Welt offenbar nicht vollständig zu verfinstern imstande ist. Selbst während der Präsidentschaft Donald Trumps gab es in den USA noch Bestandteile eines demokratischen Systems. In diesem ist die Möglichkeit der Infragestellung von Regierungsbehauptungen und -entscheidungen nicht nur vorgesehen, sondern auch geschützt.

In finsteren Zeiten droht die Auflösung demokratischer Institutionen

Juliane Rebentisch stellt fest: „Es gab eine Presse, die der interessierten Öffentlichkeit Material für eine Überprüfung der von der Regierung lancierten „alternativen Fakten“ zur Verfügung gestellt hat. Und es gab die Opposition, die schon aus strukturellen Gründen an der Debattierbarkeit der Regierungswahrheiten festgehalten hat.“ Und damit an einem politischen System, das Rede und Gegenrede zwischen sich wechselseitig ernst nehmenden Opponenten vorsieht.

In finsteren Zeiten ist dieses realitätsverbürgende Zusammenspiel demokratischer Institutionen allerdings nicht mehr selbstverständlich. Ja, es droht dessen Auflösung. Zunehmend geht es heute um den Konflikt zwischen solchen Parteien, die an einem gemeinsamen Raum des Streits orientiert sind, und solchen, die sich populistisch im Namen des „wahren Volkswillens“ von ihm abkehren. Juliane Rebentisch warnt: „Die Sorge um den Verlust des öffentlichen Raums betrifft schließlich auch die explosive Mischung, die dieser Verlust mit dem Potenzial der neuen Technologien zur Manipulation der Meinungen bilden kann.“ Quelle: „Der Streit um Pluralität“ von Juliane Rebentisch

Von Hans Klumbies