Viele sehnen sich nach Einzigartigkeit

Valentin Groebners neues Buch „Bin ich das?“ ist ein Blick in den historischen Spiegel. Er beantwortet darin unter anderem die Frage, woher der Wunsch vieler Menschen nach demonstrativer Einzigartigkeit kommt. Dabei recherchiert er leichtfüßig über den großen Wunsch, jemand ganz Besonderes zu sein – und das allen anderen auch zu zeigen. Valentin Groebner schreibt: „Reden über sich selbst als öffentliche Intimität ist im 21. Jahrhundert nicht nur Merkmal von Teilhabe und Offenheit, sondern gilt als unverzichtbar für privaten und beruflichen Erfolg.“ Geht das? Um welchen Preis? Davon handelt sein Buch. Valentin Groebner lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Influencer sind nichts anderes als Werbefuzzis

In einer Gesellschaft, in der das Einkommen an Aufmerksamkeit in den Vordergrund rücke, hat der Philosoph Georg Franck schon 2003 überlegt, stehe der Konsum im Sog der Selbstwertschätzung. Das bedeute, dass Konsumieren zur Arbeit an der Attraktivität der eigenen Person werde. Der Imperativ zur Selbstdarstellung – „Sei Du selbst!“ Übertrete die Grenzen des Gewöhnlichen und werde zu dem, was Du wirklich bist“ – ist damit allgegenwärtig geworden. Viele Menschen berichten von sich, um für andere anziehend zu erscheinen.

Das demonstrative Verkünden der eigenen Autonomie – ich ganz allein, nur ich! – demonstriert laut Valentin Groebner nur eins: Abhängigkeit vom Publikum. Und zwar umso stärker, je wilder und nachdrücklicher es ausfällt. Wer dauernd sein besonders starkes Ich vorzeigen muss, heftet sich an etwas, das er für den Blick der anderen ununterbrochen optimieren muss. Influencer sind natürlich sehr cool. Das weiß auch Valentin Groebner. Aber wenn man genauer hinschaut, sind sie nichts anderes als Werbefuzzis mit diskreten Auftraggebern.

Die Frage nach dem guten Leben sollte mehr in den Vordergrund rücken

Im Kapitel „Unter die Haut“ begibt sich Valentin Groebner auf die Spur von Tattoos. Sie sind die Post der Besitzer dieser verzierten Körper, sie haben etwas zu sagen. Ich bin eine ganz besonders wichtige Nachricht, flüstert jedes Tattoo. Kann man das erklären? Die Vielfalt der Tätowierungen, wurde 2018 vorgeschlagen, sei als Gegenbewegung zu den immer rascher wechselnden Codes der Mode zu lesen. Als hartnäckige Bezeichnungen auf dem Körper vermitteln sie ihren Trägern wenigstens das Gefühl, Entscheidungen zu fällen.

Was Selbstauskunft so unwiderstehlich macht, sind nicht die persönlichen Details des Lebens der oder des anderen, die da vorgezeigt werden. So interessant deren Gewohnheiten, Inneneinrichtungen, Frisuren oder Trainingstipps auch sein mögen. Sondern etwas, das gewöhnlich unausgesprochen bleibt, nämlich die Frage nach dem guten Leben: nach dem, was man selbst daraus übernehmen kann. An der Frage nach dem guten Leben ist das Interessanteste für Valentin Groebner ihre Umsetzbarkeit in konkrete Handlungen. Dieses gute Leben kann nicht dauernd vorgezeigt werden, sonst ist es keines.

Bin ich das?
Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft
Valentin Groebner
Verlag: S. Fischer
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-10-397099-9, 20,00 Euro

Von Hans Klumbies