Der Unterschied zwischen der freien Liebe und der Ehe

Die Ehe ist für Tania Blixen eine ehrwürdige Institution, bei der der Name deshalb am längsten lebt, weil der Begriff der Ehe für die meisten Menschen mehr Bedeutung erlangt hat als die Idee, die dahinter steckt. Sie schreibt: „Dass der Inhalt ausgezehrt ist, die Schale sich aber aufrechterhalten kann, das ist bisweilen ein Zustand, der alle Teile zufrieden stellt, und ein Vorschlag, sich des Namens zu entledigen, würde vielleicht aufrührerisch wirken zu einem Zeitpunkt, an dem der Gedanke und das Ding schon verwittert sind wie Staub im Grabe.“ Klopft dagegen eine neue Idee an die Pforten der Gesellschaft, selbst wenn sie bescheiden und mit besten Erklärungen auftritt, bricht drinnen oft ein beispielloser Aufstand aus.

Den meisten Menschen ist das Wissen über die Ehe verloren gegangen

Wenn heute der Vorschlag gemacht werden würde, der klipp und klar dazu führen würde, die Ehe abzuschaffen, würde dies ebenfalls auf ziemlichen Widerstand stoßen. Tania Blixen schreibt: „Vielleicht wird er von einzelnen Gruppen als revolutionär betrachtet.“ Ihrer Meinung nach leben noch zu viele alte Partisanen der Ehe, die vor vielen Jahren im Kampf gegen die freie Liebe ihre Fahnen schwenkten und siegten. Tania Blixen rät den Partisanen, sich genau umzuschauen, da es die freie Liebe ist, die inzwischen mitten in der Gesellschaft angekommen ist.

Laut Tania Blixen würde man auf die Frage, was ein Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau von einem unmoralischen zu einem moralischen Verhältnis macht, in 99 Prozent der Fälle die Antwort bekommen: „Die Liebe.“ Das beweist ihrer Meinung nach, dass moderne gebildete Menschen einen ziemlich festen und sicheren Begriff dessen haben, was Moral und was Liebe ist. Wenn man die gleichen Menschen fragen würde, was ein Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau von einem freien Verhältnis zu einer Ehe macht, würden die meisten keine Antwort geben können, da sie keine Vorstellung mehr davon haben, was eine Ehe ist.

Die Untreue ist die Todsünde der freien Liebe

Nach der Moral der freien Liebe ist für Tania Blixen die Untreue eine Todsünde, solange das Liebesverhältnis währt. Sie schreibt: „Wo die Liebe das höchste, ja, das einzige Gesetz ist, ist ein Abfall von ihr eine Aufhebung des ganzen Verhältnisses. Die Untreue ist im Liebesverhältnis, was im Verhältnis zu Gott die Sünde ist, die man: wider den Heiligen Geist nennt, und genauso, wie wenn es sich um diese handelt, gibt es keinen Gradunterschied, sondern im Größten wie im Kleinsten ist sie mit Verdammnis gebrandmarkt.“

Die Ehe dagegen hat nach Tania Blixen mit so vielen anderen Sünden rechnen müssen, und nicht nur in ihren eigenen vier Wänden, denn sie befindet sich in einem Verhältnis zur Umwelt, wobei die Sünden gegen die Umwelt direkt wieder auf die Ehe zurückwirken. Tania Blixen erklärt: „Ein Gatte, der seinen Ruf verspielte und seinen guten Namen ruinierte, sündigte gegen seine Ehe, und seine Gattin konnte Rechenschaft von ihm fordern, was für einen Liebenden oder Liebende gar nicht in Frage kam.“

Kurzbiographie: Tania Blixen

Als Karen Cristence Dinensen wurde die dänische Schriftstellerin Karen Blixen am 17. April in Rungsted bei Kopenhagen geboren. Nachdem sie in ihrer Kindheit privat unterrichtet worden war, studierte sie Kunst in Kopenhagen, Paris und Rom. 1907 veröffentlichte Tania Blixen unter dem Pseudonym Osceola Kurzgeschichten. 1914 heirate sie in Afrika den Dänen Baron Bror von Blixen-Finecke, mit dem sie zusammen eine Kaffeefarm betrieb.

1918 lernt Tania Blixen den englischen Offizier und Großwildjäger Denys Finch kennen, mit dem sie eine leidenschaftliche Liebesbeziehung eingeht. 1925 lässt sie sich von ihrem Mann scheiden und leitet die Kaffeefarm allein. Sie ging nach Dänemark zurück, nachdem sie Konkurs anmelden musste und ihr Geliebter bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Sie starb am 7. September 1962 auf dem elterlichen Gut Rungstedlund. Zu ihren bekanntesten Büchern zählen „Jenseits von Afrika“, „Phantastische Erzählungen“, und „Briefe aus Afrika 1914 – 1941“.

Von Hans Klumbies