Die Leistungsträger sind das Lebenselixier des Kapitalismus

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling hält den Willen für die eigentliche Substanz des Menschen, die keineswegs nur im Dienste des Glücks und der Selbsterhaltung steht. Vielmehr wohnt dem Willen ein destruktiver Moment inne, der dafür sorgt, dass der Mensch das, was er will, durch sein Wollen zunichte macht. Laut Svenja Flaßpöhler ist dieser Pessimismus für die Philosophie des 19. Und 20. Jahrhunderts tonangebend. Vor allem für jene Arthur Schopenhauers, für den die Welt ihrem Wesen nach Wille, die menschlichen Vorstellungen von und die Erfahrungen in ihr nichts weiter sind als dessen Manifestationen. So lautet die Kernaussage des Schopenhauer`schen Hauptwerks „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Svenja Flaßpöhler erklärt: „In diesem Werk wird der Mensch als ein Wesen entlarvt, das durch einen unpersönlichen, überindividuellen, an keinen Gott mehr gebundenen Wille bestimmt und getrieben wird. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

Das Leben schwingt zwischen Schmerz und Langeweile hin und her

Dieser Wille offenbart sich in den menschlichen Gefühlen, Sehnsüchten, Affekten und Triebregungen, die den Menschen in einer Endlosschleife des Begehrens gefangen halten. Sobald nämlich der Wille als reines Wollen sein Ziel erreicht hat, sucht er sich ein neues Objekt der Begierde. Arthur Schopenhauer schreibt: „Die Basis allen Wollens aber ist Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz, dem er folglich schon ursprünglich und durch sein Wesen anheimfällt.“ Fehlt es ihm hingegen an Objekten des Wollens, so befällt ihn furchtbare Leere und Langeweile.

Arthur Schopenhauer fügt hinzu: „Sein Leben schwingt also, gleich einem Pendel, hin und her, zwischen dem Schmerz und der Langeweile.“ Vielen Menschen mag der Weltschmerz Arthur Schopenhauers heute allzu romantisch, ja hochsubjektiv erscheinen, seine Konzeption des Willens allzu metaphysisch. Svenja Flaßpöhler stellt die Frage, ob sich nicht gerade der heutige Kapitalismus als überdeutliche Manifestation dieses letztlich blinden Willens deuten ließe. Denn wer kennt es nicht, das notorische Schwanken zwischen Verlangen und Überdruss angesichts der Warenwelt, deren Glücksversprechen das Mangelgefühl im Menschen wachhält.

Der Konsument kann den Ursprung seines Begehrens nicht identifizieren

Der Konsument ist laut Svenja Flaßpöhler der Wollende par excellence, da sein Begehren nie still steht: „Und am meisten leidet er unter der Unfähigkeit, den Ursprung seines Begehrens zweifelsfrei zu identifizieren.“ In einer Gesellschaft, die Wünsche zu erzeugen und Strukturen des Verlangens geschickt zu nutzen weiß, stehen die meisten Menschen mehr denn je vor der Frage, worin er denn eigentlich bestünde: ihr ureigener, ursprünglicher, eigentlicher Wille. Die Stärke des menschlichen Willens wird gemessen an den Möglichkeiten, die ein Individuum bereit ist auszuschöpfen.

Und diese Möglichkeiten sind scheinbar unendlich, aber können dramatische Folgen hervorrufen. Svenja Flaßpöhler erläutert: „Wie leicht gerät man, der beschriebenen Dynamik folgend, in einen erst mit der totalen Erschöpfung des Burnout endenden Willenssog: Je mehr wir schöpfen, je mehr wir verwirklichen, je mehr wir unseren Willen bekommen, desto leichter, vielfältiger und attraktiver öffnen sich neue Wollensfelder.“ Der Kapitalismus labt sich an Leistungsträgern, die willig die von ihm bereitgestellten Angebote nutzen. Sie sind sein eigentliches Lebenselixier.

Von Hans Klumbies