Jürgen Habermas klagt Martin Heidegger an

Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb sich Jürgen Habermas an der Universität Bonn ein. Später studierte er Philosophie auch in Göttingen und Zürich. Zwischen 1949 und 1953 beschäftigte er sich vier Jahre lang mit Martin Heideggers Philosophie. Sein Brief an den Philosophen war daher durchsetzt mit symbolischen Anklängen. Stuart Jeffries erläutert: „Ein junger Intellektueller forderte seinen älteren Lehrer heraus und verlangte von ihm, sich nicht im Schweigen zu verstecken.“ Sondern er sollte erklären, wie er dazu gekommen war, ein politisch kriminelles System gutzuheißen. Eine neue Generation Deutscher forderte die ältere Generation auf, Rechenschaft abzulegen und vielleicht auch für die begangenen Sünden Buße zu tun. In seinen späteren Schriften stellte Jürgen Habermas die These auf, es gäbe so etwas wie eine kommunikative Vernunft, der emanzipatorische Kraft zu Eigen sei. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Jürgen Habermas entwickelt die „ideale Sprechsituation“

In der von Jürgen Habermas sogenannten „idealen Sprechsituation“ wären Bürger in der Lage, moralische und politische Angelegenheiten zu thematisieren. Und der anschließende Diskurs würde sich in ordentlicher, konfliktfreier Weise entfalten. Es war eine utopische Hoffnung, geboren aus den Trümmern Deutschlands. Es handelte sich um die Philosophie eines Mannes, der sich nach einer menschlichen Gesellschaft sehnte. Diese Gesellschaft sollte durch einen freien und vernunftorientierten Diskurs bestimmt und im positiven Sinn ein Erbe der Aufklärung sein.

Für Jürgen Habermas war das der Sprache inhärente Ziel, ihr Telos, Verstehen zu erlangen und Konsens zu erwirken. Er argumentierte, ein Konsens, der auf diese Weise rational zustande kommt, sei für menschliches Gedeihen nach Auschwitz sowohl notwendig als auch möglich. Die Barrieren, die den Einsatz der Vernunft und wechselseitige Verständigung verhinderten, konnten identifiziert, verstanden und reduziert werden. Vielleicht hoffte er auf etwas Derartiges in seinem Versuch, sich mit Martin Heidegger auszutauschen, aber dazu kam es nicht.

Die deutsche Philosophie war gescheitert

Martin Heidegger antwortete nicht. Dieses Schweigen bestätigte den jungen Jürgen Habermas, dass die deutsche Philosophie im entscheidenden Moment gescheitert war. Martin Heideggers Versagen war für Jürgen Habermas symptomatisch für den in der neunen Bundesrepublik vorherrschenden, repressiven, beschwichtigenden Antidiskurs. So wie Martin Heidegger hatte sich geweigert hatte, öffentlich zu seiner Unterstützung der Nationalsozialisten Stellung zu nehmen.

Ebenso weigerte sich die Regierung Konrad Adenauers, Deutschlands jüngste Vergangenheit anzuerkennen oder sich endgültig von ihr loszusagen. Stattdessen erging man sich in Kommunistenschelte gegen die ostdeutschen Nachbarn. Wenn die Frankfurter Schule im Nachkriegsdeutschland eine Rolle spielen wollte, so bestand sie darin, diese Gespenstersonate aufzustören. Das heißt, die Kultur des Schweigens und Verleugnens kritisch zu hinterfragen. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies