Die zentrale Frage der Philosophie Platons lautet: „Wie soll man leben?“ Die Antwort, die er darauf gibt, heißt „areté“ – Tugend oder Bestheit: Die Menschen sollten so leben, dass sie wirklich lebendig sind; dass sie die Lebendigkeit – „psyché“ –, die sie sind, zur vollen Entfaltung bringen. Christoph Quarch ergänzt: „Das gelingt uns dann, wenn wir mit uns und mit der Welt im Einklang sind, in Harmonie. Denn wenn wir harmonisch ins große Spiel des Lebens einstimmen, stimmen wir überein mit unserem Sein und Wesen – mit der phýsis – die wir sind.“ Wenn ein Individuum wesentlich und wahrhaft ein lebendiger Mensch sein will, ist es deshalb gut beraten, dem „lógos“ der „phýsis“ zu folgen und das Leben nicht nach Maßgabe der starren Logik des Entweder-Oder einzurichten. Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.
Dem Gemeinwesen dient Platons ganze Aufmerksamkeit
Platon rät, der lebendigen Logik des Sowohl-als-auch zu folgen. Das gilt nicht nur für das Leben eines jeden Einzelnen. Es gilt vor allem für das Leben des Gemeinwesens, der „polís“. Ihm gilt Platons ganze Aufmerksamkeit. Das kann man allein daran erkennen, dass Platon dem Feld der Politik ausdrücklich drei große Dialoge gewidmet hat: die „Politeia“ (der Staat), den „Politikos“ (Der Staatsmann) und die „Nomoi“ (Gesetze). Aber auch der „Timaios“ und sein Schwesterndialog stehen ausdrücklich unter dem Vorzeichen, es gehe ihnen darum, einen guten Staat nicht allein auf dem Reißbrett zu entwerfen.
Sondern es gilt, einen guten Staat in Bewegung zu sehen beziehungsweise immer wieder einem Realitätscheck zu unterwerfen. Christoph Quarch stellt fest: „Bedenkt man, dass auch einige der sokratischen Frühdialoge wie „Gorgias“ und „Protagoras“ ausdrücklich politische Themen traktieren, dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn man behauptet: Platon ist seinem Selbstverständnis nach ein politischer Denker.“ Die Frage, die Platon umtreibt, lautet: „Was ist ein gutes Gemeinwesen?“
Frieden und Freundschaft sind der Sinn eines Gemeinwesens
Der Ausgangspunkt auf dem Weg zu einer guten Antwort ist die Lebendigkeit: Sein ist Leben. Das gilt auch für eine „polís“. Sie ist ein Lebewesen – ein „Gemeinwesen“. Und wie jedes Lebewesen ist sie ein dynamisches System, in dem unterschiedliche Teile – Aspekte, Organe, Funktionen – miteinander entweder stimmig und harmonisch oder unstimmig und dissonant interagieren. Ist das Lebewesen „pólis“ mit sich selbst im Einklang, hat es seine „areté“ verwirklicht und erfüllt.
Diese „areté“ nennt Platon die Gerechtigkeit: „dikaiosýne“. Ist die „polís“ nicht nur mit sich selbst im Inneren harmonisch, sondern auch nach außen im Einklang mit den anderen Staaten, dann ist ihre „areté“ vollkommen und heißt Frieden: „eiréne“. Frieden und Freundschaft, lässt Platon seinen namenlosen Athener in den „Nomoi“ sagen, sind das Ziel, der Sinn und Zweck eines Gemeinwesens. Platon sind alle herkömmliche Herrschaftsformen zuwider, denn sie alle bleiben weit hinter dem Ideal einer harmonischen Gesellschaft freier Menschen zurück. Quelle: „Platon und die Folgen“ von Christoph Quarch
Von Hans Klumbies