Putin hat den Frieden in Europa zerstört

Anders als gewohnt widmet sich die Rubrik „Arena“ im neunen Philosophie Magazin 03/2022 nur einem Thema. Und zwar dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Editorial: „Gerade jetzt ist es geboten zu verstehen: die Logik des Krieges, die immer noch Teil unserer Realität ist – und die auch das Denken Wladimir Putins bestimmt. Ein solches Verstehen legitimiert nicht seine Tat, sondern kann vielleicht helfen, einen aus Schock und Angst geborenen blinden Aktionismus zu verhindern.“ Jörg Baberowski, Historiker und Spezialist für die Geschichte der Sowjetunion, hat den Angriff Russlands auf die Ukraine nicht für möglich gehalten. Welche Tür sollte der Westen Putin öffnen, damit es zum Schlimmsten nicht kommt? Jörg Baberowski rät: „Die einzige Tür, die ins Offene führt, ist das Gespräch. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“

Das Ich kreist nur noch weltlos um sich selbst

Das Titelthema lautet diesmal: „Komm mir nicht zu nah“. In der Coronakrise hat sich unter viralem Vorzeichen, eine grundlegende Zwiespältigkeit zugespitzt. Einerseits sehnen sich die Menschen nach Nähe. Doch Nähe bedeutet: Kontrollverlust. Und sich nahezukommen heißt: Risiko. Vielleicht gibt es deswegen in Deutschland schon 42 Prozent Singlehaushalte – Tendenz steigend. Wer allein lebt, muss sich nicht auf fremde Bedürfnisse oder einen anderen Geschmack einstellen, sondern kann seinen Tag wie auch seine Wohnung selbstbestimmt gestalten.

Der Philosoph Byung-Chul Han denkt in seinem Essay über den Händedruck nach. Die Berührung der Hände lässt Energie zum Anderen fließen. Diese Geste befreit einen aus dem Gefängnis des Ich und ist ein Geschenk an das Gegenüber. In viralen Zeiten ist der Händedruck primär eine Beschmutzung. Die Folgen sind laut Byung-Chul Han fatal. Es ist eigentlich ein dramatisches Ereignis, dass viele Menschen nicht mehr zur Berührung des Anderen fähig sind. Das Ich kreist nur noch weltlos um sich selbst. Das macht die Menschen einsam, ängstlich und depressiv.

Stanley Cavell vertritt eine Philosophie des Gewöhnlichen

Als „Klassiker“ hat diesmal das Philosophie Magazin den amerikanischen Philosophen Stanley Cavell ausgewählt. Seine erste Veröffentlichung „Must We Mean What We Say?“ zählt heute zu den wichtigsten Werken der Sprachphilosophie. Zwar liegen seine Wurzeln in der analytischen Philosophie, doch wehrt er sich vehement gegen eine strikte Trennung von US-amerikanischer analytischer und europäischer Tradition, aus der er ebenso wichtige Inspiration bezieht. Und niemand stellt so unerschrocken wie er die Alternative zu der schlechten Alternative von Skepsis und Wissen heraus, dass die Philosophie nämlich das Gewöhnliche anerkennen sollte.

Das Buch des Monats heißt „Freiheit“. Kunst, Sex, Drogen, Klima. Die amerikanische Schriftstellerin Maggie Nelson fragt, wo Freiheit beginnt und wo sie endet. Dass es absolute Freiheit nicht geben kann, weil diese bestimmt und beschränkt wird von der Sorge für sich selbst, für andere und die Welt, ist der Glutkern dieses Buches. Fürsorge und Zuwendung stehen immer in Beziehung zur Zukunft und schützen so auch vor dem nihilistischen Abgrund, wenn man sich der Klimakrise stellt.

Von Hans Klumbies