Jeder sollte die Kunst des Verstehens erlernen

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2023 kreist um die Frage: „Kannst du mich verstehen?“ Denn verstanden zu werden, ist existenziell. Wenn auf Dauer keine Verbindung zwischen Innen und Außen besteht, ist Gefahr im Verzug. Auch auf der gesellschaftlichen Ebene erleben die Deutschen gerade, wie tief der Spalt sein kann, den wechselseitiges Unverständnis erzeugt. Auf kein Verständnis zu stoßen, führt im persönlichen Bereich zu Frustrationen, auf der gesellschaftlichen Ebene gar zu Hass. Umso dringender ist es, die Kunst des Verstehens zu erlernen, die Voraussetzungen ihres Gelingens zu kennen. Theresa Schouwink schreibt: „Generell fällt es leicht, in der sogenannten polarisierten Gesellschaft eine Krise des Verstehens zu diagnostizieren.“ Auch das Verstehen über Generationen hinweg, zwischen rücksichtslosen „Boomern“ und übersensiblen „Schneeflocken“, scheint zunehmen schwierig.

Lust ist für Aristoteles das Maß für ein erfolgreiches Leben

Für David Lauer ist das menschliche Verstehen von einer verwirrenden Vielfalt. Denn Verstehen ist nicht notwendigerweise an Verständigung gebunden. Von Verstehen spricht man auch im Hinblick auf ein Begreifen oder Erklären-Können von Gegenständen und Geschehnissen. Eine weitere Art des Verstehens besteht in einem praktischen Können. Nämlich in der Beherrschung eines Werkzeugs, einer Technik oder eines Spieles. Ein dicht gewebtes Muster aus Verstehen, Verständigung, Verständlichkeit, Verstand und Verständnis durchzieht das ganze Leben eines Menschen.

Im Kapitel „Leben/Lösungswege“ geht es unter anderem um die Frage: „Warum genießen wir?“ Für Aristoteles ist die Lust nichts Verwerfliches oder Überflüssiges. Sondern sie ist in gewisser Hinsicht ein direktes Maß für ein erfolgreiches Leben. G. W. G. Hegel dagegen meint, dass im Genuss der Einzelne ganz auf sich selbst verwiesen zu sein scheint. Arthur Schopenhauer hat nur wenig für das Genießen übrig. So sehr geprägt sei das menschliche Dasein von Unglück, Schmerz und falscher Hoffnung. Glück besteht für ihn in erster Linie im Vermeiden von Unannehmlichkeiten und Leid.

Christoph Menke stellt eine Theorie der Befreiung auf

In die Hall of Fame der Klassiker hat das Philosophie Magazin diesmal Donald Woods Winnicott aufgenommen. Das Spiel gilt heute gemeinhin als Zeitvertreib nach festen Regeln und Gesetzen. Für den Psychoanalytiker Donald W. Winnicott ist das Spielen etwas ganz anderes: nämlich ein sinnlicher Modus. Es geht ihm in der Psychotherapie darum, Menschen zu befähigen, einem Gegenstand, einer Person und der Welt mit offenem Ausgang begegnen zu können. Der Patient soll dabei verschiedene Möglichkeiten ausprobieren, auch Risiken eingehen, kurzum, zu spielen. Es soll sich mit Freude statt Angst fragen: „Wie wird mein Gegenüber auf mein Tun reagieren.“

Das Buch des Monats hat Christoph Menke geschrieben. Es trägt den Titel „Theorie der Befreiung“. Der Autor ist davon überzeugt, dass die modernen Emanzipationsakte immer wieder nur neue Herrschaftsformen erzeugt hätten. Nämlich Imperialismus, Kolonialismus und Neoliberalismus. Christoph Menkes ästhetische Befreiungsidee entfaltet sich an zwei gegenläufigen Modellen: dem ökonomischen und dem religiösen. Die zwei Modell münden schließlich in einen „Begriff radikaler Befreiung“. Die Politik der Befreiung ist für Christoph Menke schlussendlich eine Politik der Erziehung.

Von Hans Klumbies