Das Individuum muss sich selbst erhöhen

Friedrich Nietzsche hat das Christentum immer wieder scharf kritisiert. Dabei schätzte er die Gottesvorstellung als lebensfeindlich ein. Nach dem Tod Gottes muss der Mensch folgenden Leistungen vollbringen. Friedrich Nietzsche schreibt: „Das Individuum steht da, genötigt zu einer eigenen Gesetzgebung, zu eigenen Künste und Listen der Selbst-Erhaltung, Selbst-Erhöhung, Selbst-Erlösung.“ Oder mit einem Wort Zarathustras: „Ich nahm euch Alles, den Gott, die Pflicht – nun müsst ihr die größte Probe einer edlen Art geben.“ Christian Niemeyer erklärt: „Den Hervorhebungen Nietzsches zufolge wäre das Übermenschen-Konstrukt also in der praktischen Philosophie zu beheimaten. Und dies mit dem Auftrag, jener Gefahr des Nihilismus entgegenzutreten.“ Lesen freilich will gelernt sein, Friedrich Nietzsche lesen ohnehin, aber auch ganz allgemein. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an. der TU Dresden.

Zarathustra: „Ich lehre euch den Übermenschen“

Zarathustra tritt auf dem Markt vor dem Volk mit folgenden Worten auf: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber zum Thiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?“ Dies sind selbstredend rhetorische Fragen. Deswegen auch lobt Zarathustra gleich nachfolgend die „Stunde der großen Verachtung“.

Dabei handelt es sich um die Stunde, „in der euch auch euer Glück zum Ekel wird und ebenso eure Tugend und eure Vernunft“. Und in welcher der zum Übermenschenideal konvertierte Mensch gelernt haben soll, voller Stolz auszurufen: „Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armut und Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das Dasein selbst rechtfertigen!“ Deutlich erkennt man hier den Paradigmenwechsel hin zum Anspruch auf Daseinsrechtfertigung mittels selbstbestimmter Lebensführung.

Der Mensch ist nur das Ergebnis einer langen Entwicklung

Dies geschieht in einer Epoche, in welcher mit dem Tod Gottes die Schöpfungsvollmacht für den Menschen verfügbar scheint. Christian Niemeyer erläutert: „Es darf nun gedacht werden an die Verschiedenheit der Menschen in ihrer moralischen Zulässigkeit – und mithin an eine Existenzform, für die der Übermensch steht.“ Beim Begriff des Übermenschen handelt es sich um ein Wesen, das für eine gelungene Überwindung des den Einzelnen bisher bindenden Artcharakter steht.“

Gegeben hat Friedrich Nietzsche damit zugleich auch eine indirekte Antwort auf seine über zwanzig Jahre ältere Frage: „Hat dies Werden denn nie ein Ende?“ Darüber hatte der Siebzehnjährige damals noch gerätselt. Nämlich angesichts des darwinistischen Befundes, dass auch der Mensch nur das Ergebnis einer langen Entwicklung sei. Friedrich Nietzsche stellt fest: „Wie hoch die Menschheit sich entwickelt haben möge […] es gibt für sie keinen Übergang in eine höhere Ordnung. So wenig die Ameise und der Ohrwurm am Ende ihrer Erdenbahn zur Gottesverwandtschaft und Ewigkeit emporsteigen. Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies