Niemand ist der allgemeinen Aufregung hilflos ausgeliefert

Eine der zentralen Thesen in Philipp Hübls neuem Buch „Die aufgeregte Gesellschaft“ lautet: „Emotionen prägen unsere moralische Identität und damit auch unsere politischen Referenzen.“ Außerdem stellt der Autor fest, dass sich der Riss, der sich zwischen Traditionalisten und Kosmopoliten aufgetan hat, immer größer wird. Diese neue Polarisierung betrifft die grundlegende Frage, welche Werte und Normen ein gutes Leben und eine gute Gesellschaft ausmachen. Die Bruchlinien verlaufen zwischen Alt und Jung, Land und Stadt, Auto und Fahrrad, Kaufhaus und Amazon, Tatort und Netflix, Vergangenheit und Zukunft. Philipp Hübls Folgerungen sind überraschend und provokant: Zum Beispiel macht Angst einen Menschen nicht automatisch zum Fremdenfeind. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Werte entspringen aus Gefühlsneigungen

Weitere Erkenntnisse von Philipp Hübl lauten: „Politische Korrektheit ist ein Erkennungszeichen für Gruppenzugehörigkeit. Autoritäres Denken findet sich in allen Parteien. Salafisten und Rechtsradikale haben ähnliche Werte.“ Zudem gilt: Gleichberechtigung und Multikulturalismus machen Länder wirtschaftlich erfolgreicher und ihre Bewohner zufriedener. Der Autor präsentiert all dies anhand provokanter Gedankenexperimenten und aktuellen Befunden der Psychologie.

Philipp Hübl zeigt zudem, aus welchen Gefühlsneigungen die Werte und Überzeugungen eines Menschen entspringen: aus Zorn, Ekel, Neugier, Scham und Mitleid. Die Welt ist in Unruhe. Besonders in den sozialen Netzen eskalieren die Diskussionen. Kein Mensch ist allerdings der allgemeinen Aufregung hilflos ausgeliefert, sondern sollte durchaus in der Lage sein, Klarheit über sich selbst zu gewinnen und selbst zu entscheiden, nach welchen Werten er leben möchte.

Der Mensch ist grundsätzlich autonom

Es gibt Hunderte von Studien zu moralischen und politischen Emotionen, die in allen Kulturkreisen der Welt entstanden. Aus den Ergebnissen dieser Forschung entspringen die vier Grundthesen dieses Buches: Erstens: Moral ist emotional. Die moralischen und damit auch politischen Werte eines Menschen stammen selten aus edlen Prinzipien, die man aus der Vernunft herleitet, sondern zum Großteil aus Emotionen wie Angst, Zorn, Ekel, Scham und Schuld. Darum lässt die Moral einen Menschen nicht kalt.

Zweitens: Moral ist biologisch. Denn der Mensch ist nicht nur ein Kulturwesen, sondern ebenso ein Naturwesen. Der Mensch hat einen Verstand und ist dennoch Tier geblieben. Drittens: Moral polarisiert: Weltweit klafft zwischen Modernisten und Traditionalisten, zwischen Progressiven und Konservativen ein Riss, der immer größer wird. Viertens: Moral ist eine Entscheidung. Der Mensch ist grundsätzlich autonom und kann seine Moral und seine politische Gesinnung überdenken. Leider machen die meisten Menschen von ihrer Selbstbestimmung zu selten Gebrauch.

Die aufgeregte Gesellschaft
Wie Emotionen unsere Moral prägen und die Polarisierung verstärken
Philipp Hübl
Verlag: C. Bertelsmann
Gebundene Ausgabe: 429 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-570-10362-3, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies