Der Glaube ist etwas Irrationales

Søren Kierkegaard (1813 – 1855) beschäftigt sich in seinem berühmtesten Werk „Entweder – Oder“ (1843) mit dem Thema der Entscheidungsfindung. Nigel Warburton erklärt den Inhalt: „Dieses Buch stellt den Leser vor die Entscheidung, entweder ein Leben des Vergnügens und der Schönheit zu wählen oder eines, das auf konventionellen Moralregeln gründet – eine Entscheidung zwischen Ästhetik und Ethik.“ Und immer wieder kehrte er in seinen Schriften auf ein Thema zurück – den Glauben an Gott. Den Mittelpunkt bildet die Geschichte von Abraham. Für Søren Kierkegaard ist der Glaube an Gott keine einfache Entscheidung, sondern eine, die einen Sprung ins Ungewisse erfordert, eine im Glauben getroffene Entscheidung, die sich sogar gegen konventionelle Vorstellungen von dem, was man tun sollte, wendet. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Die üblichen Moralvorstellungen stellen nicht immer den höchsten Wert dar

Wenn Abraham weitergemacht und seinen Sohn getötet hätte, hätte er etwas moralisch Verwerfliches getan. Ein Vater ist moralisch verpflichtet, sich um das Wohl des Sohnes zu sorgen, und es ist bestimmt nicht seine Aufgabe, ihn an einen Altar zu binden und ihm die Kehle zu durchschneiden. Nigel Warburton fügt hinzu: „Gott verlangte von Abraham, die Moral außer Acht zu lassen und sich für den Glauben zu entscheiden. In der Bibel wird Abraham als bewundernswert dargestellt, weil er das normale Gefühl für Recht und Unrecht nicht beachtet, sondern bereit ist, Isaak zu opfern.“

Abrahams Glaube ist so stark, gerade weil er Gott mehr vertraut als konventionellen Moralgeboten. Andernfalls wäre es ja kein Glaube. Der Glaube birgt immer ein Maß an Ungewissheit in sich. Der Glaube ist etwas Irrationales, da er gerade nicht auf Vernunft gründet. Søren Kierkegaard glaubte, dass die üblichen Moralvorstellungen, wie zum Beispiel die Pflicht, dass ein Vater seinen Sohn jederzeit beschützen sollte, nicht immer den höchsten Wert darstellen. Die Pflicht, Gott zu gehorchen, steht über der Pflicht, ein guter Vater zu sein, und auch über jeder anderen Pflicht.

Religion ist eine vom Herzen kommende Entscheidung

Der Mensch, der die Ethik, die Moral, zugunsten des Glaubens aufgibt, fällt eine qualvolle Entscheidung. Er setzt alles auf eine Karte, ohne zu wissen, ob sie ihm etwas einbringt oder was geschehen wird. Er kann sich auch nicht sicher sein, ob die Botschaft wirklich von Gott kommt. Die Menschen, die diesen Weg gehen, sind völlig allein. Søren Kierkegaard war Christ, doch er verachtete die Kirche und konnte nicht akzeptieren, wie sich die selbstgefälligen Christen in seiner Umgebung verhielten.

Für Søren Kierkegaard bedeutete Religion eine vom Herzen kommende Entscheidung, für die meisten Kopenhagener erschöpfte sich Religion in einem sonntäglichen Familienausflug und ein paar gesungenen Kirchenliedern. Søren Kierkegaard fand, dass die Kirche das Wesen des Christentums völlig verzerre, ja, dass sie im Grunde gar nicht mehr christlich sei. Solche Ansichten brachten ihm verständlicherweise wenig Sympathie ein. Genau wie Sokrates verärgerte er die Menschen in seiner Umgebung mit seiner Kritik und seinem Spott. Quelle: „Die kürzeste Geschichte der Philosophie“ von Nigel Warburton

Von Hans Klumbies