Hannah Arendt lehrt die „menschliche Bedingtheit“

Hannah Arendts Texte enthalten eine Art Grundkurs in Politik. Er basiert auf einigen Tatsachen, die man mit den fünf Sinnen und dem gesunden Menschenverstand begreifen kann. Ned O’ Gorman erläutert: „Zunächst fordert Arendt uns auf, unsere Grundsituation als Menschen in den Blick zu nehmen. Insbesondere die erste und wichtige Tatsache: dass nämlich du und ich und andere zusammen auf dieser Erde leben.“ Hannah Arendt bezeichnet dies als „menschliche Bedingtheit“. Es ist bedeutsam, dass Arendt ihr Nachdenken über Politik mit der conditio humana beginnt und nicht etwa mit der sogenannten „Natur des Menschen“. Viele andere bekannte Namen der politischen Philosophie der Moderne sahen das anders. Sie nahmen an, Politik sei in der einen oder anderen Weise eine Antwort auf und ein Umgehen mit dem Problem der „menschlichen Natur“. Ned O’ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

Der Mensch ist gierig und habsüchtig

In seinem Buch „Politik für alle“ möchte Ned O’ Gorman nicht nur Hannah Arendts Denken ergründen, sondern auch den Ursprung einiger von ihren kritisierten Vorstellungen. Der Gedanke, Politik sei ein Mittel zum Umgang mit der „menschlichen Natur“ ist sehr alt. Er erhielt aber zu Beginn der Moderne prominente Unterstützung durch John Locke (1632 – 1704). Locke half beim Errichten des philosophischen Fundaments dessen, was heute als „politischer Liberalismus“ bekannt ist.

Diese Position wurde und wird sowohl auf der konservativen als auch der liberalen Seite des ideologischen Spektrums von vielen geteilt. John Locke argumentierte, der Mensch sei von Natur aus besitzergreifend, gierig und habsüchtig. Menschen sind Individuen mit Besitzansprüchen. Alle Menschen eignen sich Dinge an. Sie wollen Dinge besitzen – vor allem sich selbst und alles, was zu ihrem Überleben und Unterhalt notwendig ist. Lockes Idealvorstellung war deshalb eine Gesellschaft, die auf Eigentumsrechten und Vertragsregeln basierte.

Die wichtigsten politischen Fragen beruhen auf Eigentumsrechten

Diese Rechte und Regeln sollten „mich“ und „meine Sachen“ gegen die gesellschaftlichen Aneignungsprozesse schützen. John Locke glaubte, dies sei zu erreichen, indem man jenen Rechte garantiere, die über bestimmte Eigenschaften verfügten. Nämlich vor allem männlich waren und Eigentum besaßen. Seit Locke haben politisch Liberale die „Qualifikationen“, mit denen man Rechte erhält, wieder und wieder überarbeitet, Lockes Perspektive im Grundsatz aber beibehalten.

Der politische Liberalismus ist für jeden, der dessen Voraussetzungen erfüllt. Wer dazu gehört, wird hauptsächlich davor geschützt, dass andere sich seinen Besitz zu eigen machen. Die Parteien sind sich zwar nicht einig, wer für den Schutz qualifiziert ist und wie die gesellschaftlichen Regeln und Rechte im Detail ausgestaltet sein müssen. Doch sie stimmen darin überein, dass die wichtigsten politischen Fragen sich auf individuelle Eigentumsrechte und die damit verbundenen Gesetze zurückführen lassen. Quelle: „Politik für alle“ von Ned O’ Gorman

Von Hans Klumbies