Michael Carolan kritisiert die Kosten der Kosten-Nutzen-Analyse

Von dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain stammt folgender populäre Aphorismus: „Es gibt drei Arten von Lügen: einfache Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.“ Mark Twain starb, bevor die Kosten-Nutzen-Analyse zum Grundstein politischer Entscheidungsfindung avancierte. Wenn er sie gekannt hätte, hätte er zu seinen drei Lügen wahrscheinlich eine vierte hinzugefügt. Michael Carolan blickt in die Geschichte zurück: „Offiziell zum ersten Mal angewandt wurden Kosten-Nutzen-Analysen von der US-Regierung für Wasserwirtschaftsprojekte in den 1930er-Jahren.“ Aber erst in den 1980ern nahm die Kosten-Nutzen-Analyse eine zentrale Rolle in der politischen Gestaltung ein. Eigentlich wirkt sie auch ungeheuer sinnvoll. Dieser Ansatz, die ganze Welt mit konkreten Zahlen zu bewerten, hat viele blinde Anbeter gefunden. Michael Carolan ist Professor für Soziologie an der Colorado State University.

Die Kosten-Nutzen-Analyse vermeidet ethische Fragen

Michael Carolan betont das Wort blind in diesem Zusammenhang, denn bei Kosten-Nutzen-Analysen kann man sich nicht darauf verlassen, dass sie ihre Versprechen erfüllen, zum größten Nutzen bei geringsten Kosten zu führen. Michael Carolan kritisiert: „Bei kritischem Nachdenken sehen wir vielmehr, dass dieser Ansatz sogar das Gegenteil herbeiführt, nämlich größtmögliche Kosten, die aber meist durch Sozialisierung dem Blick verborgen bleiben.“ Bei jeder Entscheidung, so die Argumentation, schleichen sich unweigerlich subjektive Beurteilungen ein und lenken sie in Richtungen, die nicht immer rational begründbar sind.

Wenn man Emotionen, kulturelle Werte und Politik aus dem Gesetzgebungsprozess heraushält, werden die Entscheidungen nicht nur objektiver, sondern vermeiden mit ihren Ergebnissen auch schwierige ethnische Fragen. So argumentieren die Anhänger der Kosten-Nutzen-Analyse. Denn wenn man die Welt auf einen universell vergleichbaren Wert reduziert, sodass Kosten und Nutzen durchgehend aufaddiert werden können, ergeben sich ethikfreie Entscheidungen. Michael Carolan fügt hinzu: „Indem sie die Welt in Geld ausdrückt, will sie uns vor den dunklen Winkeln der Menschlichkeit beschützen, in denen Liebe, ästhetisches Empfinden, Mitleid und Mitgefühl lauern.

Heutzutage haben die meisten Märkte versagt

Wenn man das menschliche Leben aus statistische Ziffern reduziert, verweigert man damit dem Menschen die Würde seiner Individualität. Ebenso könnten die Menschen Ökosysteme und die Tier- und Pflanzenwelt nicht als das ansehen, was sie sind, wenn ihnen Preisschilder angehängt werden. Michael Carolan kritisiert: „Die vorherrschende Praxis ist, Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem sozioökonomischen Status einen niedrigeren Wert zuzumessen, ebenso Minderheiten bestimmter Hautfarbe, die unter den niedrigen Einkommensgruppen überrepräsentiert sind.“

Damit die Märkte ihre Aufgaben erfüllen können, nämlich Ressourcen effizient zu verteilen, müssen Preise genau den tatsächlichen, das heißt den gesamten Kosten entsprechen, die mit einer Entscheidung verbunden sind. Wenn der erhobene Preis nicht zutreffend ist, liegt ein sogenanntes Marktversagen vor. Für Michael Carolan ist es nicht verwunderlich, dass heutzutage die meisten Märkte versagt haben, denn schließlich fördert die heutige Wirtschaftsordnung aktiv die Sozialisierung der Kosten. Quelle: „Cheaponomics“ von Michael Carolan

Von Hans Klumbies