Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen

Das neue Philosophie Magazin 02/2023 diskutiert im Titelthema darüber, ob man seiner Intuition folgen oder eher auf die Kraft des Verstandes setzen sollte. Auf jeden Fall ist Vorsicht geboten, den Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen. Aber es gilt auch, wie Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler in ihrem Editorial feststellt: „Ganz ohne Intuition wären wir heillos verloren. Die Intuition ist es, die uns in Situationen des Nichtwissens ein Kompass ist; die es uns ermöglicht, uns in einer komplexen, unübersichtlichen Welt zu orientieren; die uns befähigt, unseren eigenen, individuellen Weg zu gehen.“ Alltagssprachlich setzt man Intuition oft mit Bauchgefühl gleich. Doch ein Blick in die Philosophiegeschichte zeigt, dass diese Kraft weit mehr ist. Ja, vielleicht sogar etwas ganz anderes. Übersetzt meint dieses Wort lateinischen Ursprungs: unmittelbare Anschauung.

Egoistische Fantasien regieren die Welt

Auch ist es ratsam, intuitiven Gewissheiten zunächst mit einer guten Portion Skepsis zu begegnen. Denn wer der eigenen Intuition blind vertraut, wird auch seine politischen Haltungen kaum je hinterfragen. Sondern er wird sie im schlimmsten Fall für eine Art Eingebung halten, die allen Argumenten standhält wie eine göttliche Wahrheit. Gleichzeitig bleibt aber auch wahr, dass kaum eine große Entscheidung ganz ohne Intuition je getroffen werden könnte.

Im Gespräch mit dem philosophischen Popstar Judith Butler geht es um die Frage: „Was ist das für eine Welt, in der wir leben?“ Judith Butler sagt: „Die Vorstellung, ich könnte frei sein in einer unfreien Welt, verschweigt die unfreie Welt. Ein solches Freiheitsverständnis ist partikulär, eigennützig und blind. Es ist ein Widerspruch ebenso wie ein ethisches Versagen.“ Egoistische Fantasien regieren die Welt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat Judith Butler gelehrt, diesen Egoismus infrage zu stellen.

Den Querdenker prägt ein autoritärer Charakter

Zum Klassiker hat das Philosophie Magazin diesmal Walter Benjamin erkoren. Dieser plädiert in seinem Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ für eine Entsetzung des Rechts. Der Philosoph kommt zu dem radikalen Schluss, dass es keine Form der rechtmäßigen Gewalt gibt, „welche von der schweren Problematik jeder Rechtsgewalt frei wäre“. Die Ausgangsfrage, ob man rechtliche Gewalt legitimieren kann, beantwortet er deswegen mit einem klaren Nein. Denn Gewalt als Mittel zum Zweck der Rechtsdurchsetzung ist nicht in der Lage, eine friedliche Ordnung zu etablieren.

Das Buch des Monats heißt „Gekränkte Freiheit“. Geschrieben haben es die beiden Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey. Das Autorenteam hat ein ganzes Milieu auf die Coach beordert und das Abdriften der Querdenker untersucht. Der Querdenker erweist sich dabei als neue Spielart des autoritären Charakters. Nämlich als eine egoistisch-hedonistische Gestalt auf dem Trip der spätkapitalistischen Wohlstandsverwahrlosung. Vor allem braucht diese „libertär-autoritäre Charakterstruktur“ keine Führerfigur mehr. Es ist das eigene Ich, mit dem sich diese Menschen identifizieren. Libertäre Autoritäre fühlen sich nicht an soziale Normen gebunden und rebellieren gegen externe Autoritäten.

Von Hans Klumbies